Bush weist in Madrid den Weg

Auftakt für den Friedensprozeß im Nahen Osten/ US-Präsident bezeichnet UN-Resolutionen 242 und 338 als Basis der Verhandlungen/ Palästinenser de facto den anderen Delegationen gleichgestellt  ■ Aus Madrid Beate Seel

Das Treffen zwischen George Bush und Michail Gorbatschow hatte bereits am Vortag stattgefunden. Schamir hatte auch schon mit beiden gesprochen. Die zahlreichen Delegationen, unter ihnen auch eine Abordnung der PLO, waren längst angekommen. So hätte man also annehmen können, der offizielle Beginn der Nahostkonferenz in Madrid sei nur ein weiterer Höhepunkt in einer ganzen Kette von Ereignissen. Dennoch war es ein besonderer Moment, als die erbitterten Feinde von einst erstmalig leibhaftig Angesicht zu Angesicht um den T-förmigen Tisch im Königspalast beisammensaßen.

Die Querseite des Tisches teilten sich das Gastgeberland Spanien mit den Vertretern der Schirmherren der Konferenz, den USA und der Sowjetunion. Sie hatten gestern, zu Beginn der Eröffnungsrunde, die den Positionsbestimmungen der Beteiligten vorbehalten war, auch als erste das Wort. Politikum am Rande: Die gemeinsame palästinensisch-jordanische Delegation saß, im Gegensatz zu allen anderen, mit zwei Vertretern am Tisch und erhält auch die doppelte Redezeit.

Es war fast eine reine Männerrunde, die da zum historischen Treffen zusammenkam: Unter den über 80 offiziellen Delegierten finden sich ganze drei Frauen, die den Vertretungen Israels, der USA und des Libanon angehören. Diejenige unter den Teilnehmerinnen, der besonderes Augenmerk gilt, saß nicht mit am Tisch: Hanan Aschrawi, die gemeinsam mit Faisal al-Husseini zur palästinensischen Beratergruppe gehört und mit ihm zusammen de facto ihre Vertretung leitet.

Nach einer kurzen Begrüßungsansprache des spanischen Ministerpräsidenten Felipe González war es Bush, der als erster das Wort ergriff. Sein Außenminister Baker kann als Architekt der Konferenz gelten. In einer engagierten 20minütigen Rede sprach Bush von der „Mission der Hoffnung“, die es nach der langen und schmerzlichen Geschichte ermöglichen solle, daß im Nahen Osten künftig „normale Männer und Frauen ein normales Leben“ führen können. Gerade angesichts der Geschichte, so Baker, sei es nicht realistisch, daß ein Frieden in einer Woche, in einem Monat oder in einem Jahr zu erreichen sei.

Wie nach ihm auch Gorbatschow stellte Bush klar, daß es nicht darum gehen könne, daß auswärtige Mächte den Beteiligten eine Lösung aufzwingen können. Doch das Prozedere, das er vorstellte, gibt bereits eine Richtung an: Innerhalb von einem Jahr soll eine palästinensische Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten für eine Periode von fünf Jahren eingeführt werden. Nach drei Jahren sollen dann Gespräche über eine „endgültige Lösung“ beginnen. Und: Basis des Friedensprozesses sollen die UNO-Resolutionen 242 und 338 sein, in denen Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufgefordert wird. Die umstrittene Formel „Land gegen Frieden“ nahm Bush zwar nicht in den Mund; inhaltlich bedeutet dies jedoch dasselbe.

Wie zuvor auch Baker hob Gorbatschow in seiner Ansprache die Bedeutung der veränderten internationalen Beziehungen für einen Friedensprozeß im Nahen Osten hervor. Ohne das Ende des Kalten Krieges würden die Kontrahenten von einst heute in Madrid nicht als Partner auftreten. Beide Staatschefs betonten auch vor dem Hintergrund des Golfkrieges die Notwendigkeit einer regionalen Abrüstung, ein Thema, das auf der Tagesordnung der regionalen Verhandlungsrunde stehen wird, die für Mitte November angesetzt ist.

Mit dem ägyptischen Außenminister Amr Mussa, einem Karrierediplomaten, kam gestern nachmittag zum Abschluß des ersten Tages im Madrider Königspalast der erste Politiker aus dem Nahen Osten selbst zu Wort — und der Vertreter des einzigen arabischen Landes, das mit Israel bereits einen Friedensvertrag geschlossen hat. Nun sei der Augenblick gekommen, „Geschichte zu machen“, meinte der Ägypter. Doch im Gegensatz zu seinen Vorrednern wurde Mussa, der das Engagement Ägyptens für den Friedensprozeß hervorhob und ebenfalls die Resolutionen 242 und 338 als dessen Grundlage bezeichnete, dann in seiner Interpretion ganz konkret — und auch in seinen Forderungen: Die volle Verwirklichung dieser Resolutionen schließe auch Ostjerusalem, die Golan-Höhen und den Südlibanon ein. Gleichzeitig forderte er einen Stopp des israelischen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten, den er als ein „Hindernis für den Frieden“ bezeichnete. Das israelisch-palästinensische Problem, so Mussa in seiner wahrhaft „arabischen“ Rede, sei der Kern des israelisch-arabischen Konflikts, und ohne einen Durchbruch in dieser Frage werde es auch in anderen zu keinem Fortschritt kommen. Die eigentlichen Hauptbeteiligten des Prozesses, Palästinenser und Jordanien, Syrien und der Libanon, werden heute am zweiten Tag der Konferenz hier zahlreiche Anknüpfungspunkte finden.

Was die zweite Etappe, die bilaterale Verhandlungsrunde anbelangt, die sich an die Eröffnungskonferenz anschließen soll, so müssen Zeitpunkt und Ort erst noch endgültig festgelegt werden. Nach einer Begegnung zwischen Schamir und Bush hieß es am Dienstag abend, die Gespräche sollten am Sonntag in Madrid beginnen, Israel fordere jedoch eine US-amerikanische Zusicherung, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt in den Nahen Osten verlegt werden. Doch neben den USA ist gerade auch die israelische Regierung an der baldigen Aufnahme der bilateralen Verhandlungen interessiert. Sie war es nämlich, die solche Gespräche stets gefordert hat.

Überhaupt hat sich der Ton der israelischen Delegierten gemäßigt, seit sie spanischen Boden betreten haben. „Wir sind mit einer großen Hoffnung für einen Neuanfang nach Madrid gekommen“, erklärte Schamir bei seiner Ankunft. Nach seinen unnachgiebigen Äußerungen im Vorfeld der Konferenz bemühte er sich sichtlich um einen positiveren Zungenschlag. Wenn am Freitag vormittag die Zeit der Fensterreden vorbei ist, wird sich zeigen, ob die Spielräume bei den bilateralen Gesprächen nicht doch größer sind, als die letzte Woche es vermuten ließ.