Geliebte Leser, verehrte Leserin,

wer hätte das gedacht, in diesen trüben Zeiten, daß wir euch noch einmal so euphorisch anreden würden. Und das, obwohl man uns inzwischen nur noch als Diaspora des vierten Stocks bezeichnen kann, eine Außenstation in der unendlichen Wüste weißer Wände, umgeben von Farbeimern und Staubwolken, durch die ab und zu hilflos-freundlich grüßende Wesen irren und nach der Berlinkultur fragen — ja, es gibt uns noch, den unermüdlich im Chaos nach Terminen und Artikeln fahndenden Troß, dem jeden Tag in allerletzter Minute doch noch auffällt, daß das Gedicht noch fehlt, der sich um Behinderten-Theater und Lesbenwoche kümmert, die reizenden und tapferen Layouterinnen [Schleim, schleim! Die Layouterinnen] mit Keksen besticht und den kranken Setzer Ulli vermißt, dafür den noch verbliebenen stoischen Bernhard bewundert, auch wenn er mit seiner Zigarettenhysterie ganz schön nerven kann — man muß sich das vorstellen: in einem 200-m2-Raum schreit er in der einen Ecke los, wenn in der anderen Ecke einer mit dem Päckchen knistert... [Alles Lüge, säzzer B.] — eitel Freundschaft und Sonnenschein in der Kochstraße, auch wenn wir immer noch kein Schreibgerät haben — das macht ja gar nichts! — denn wir haben ja euch, geliebte Leser, die ihr uns Staunen und ehrfürchtige Bewunderung lehrtet, als täglich, ach stündlich, per Post, Boten, oder gar eigenhändig bis zum letzten Moment, eure großartigen Geschichten zum Kürzest-Geschichten-Wettbewerb auf uns herniederprasselten, eine schöner, gemeiner, kitschiger, deprimierender, erotischer, versauter, satirischer, witziger und talentierter als die andere. Es war die reine Freude! (Auch wenn wir bei der einen oder anderen Geschichte auf der Suche nach ihrem Verfasser sind, weil einige keine Namen tragen und die Briefumschläge zum Teil im Redaktionsmüll verschwanden...) Das ist echte Leser-Blatt-Bindung, so eine Zeitung darf nicht untergehen, was soll denn aus den Menschen werden, die nie wieder zu derartig sinnvollem Tun aufgerufen werden?

Angesichts der großartigen Vielfalt wirklich guter Geschichten fällt uns die Auswahl schwer. Und da wir Faulheit und Spaß für die wichtigste Überlebenskombination halten, haben wir uns entschlossen, den dritten Preis (Das Taschenbuch Sag es treffender) überhaupt keinem zukommen zu lassen, mit einigen Essen zu gehen (Wobei man sich über die Zahlungsmodalitäten noch mal besprechen müßte — ihr wißt ja, wie es um uns steht...) und andere, die aber auch gerne mit Essen gehen können, um freie Mitarbeit auf diesen Seiten verpflichten oder bitten möchten. Auf jeden Fall werden viele Geschichten unter dem Motto Wie es einmal wieder nicht geklappt hat in den folgenden Tagen veröffentlicht werden. d. Red.