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INTERVIEWRU486: Hormoncocktail mit unbekannten Langzeitfolgen

■ Sylvia Groth, Mitarbeiterin im Feministischen Frauengesundheitszentrum in Berlin, teilt die Euphorie über diese Abtreibungspille nicht

Die „Abtreibungspille“ RU486 ist in Deutschland erneut in die Diskussion geraten. Dieses künstliche Hormonpräparat unterbricht die für eine Schwangerschaft notwendige Versorgung mit Hormonen und führt dadurch zum Abbruch. Entwickelt wurde es von Roussel-Uclef, einer französischen Tochterfirma des deutschen Pharmamultis Hoechst AG. Bei AbtreibungsgegnerInnen ist die RU486 als „Todespille“ verschrien. Von der Medizin wird sie hingegen als großer Fortschritt, als Wundermittel gepriesen. In Frankreich und Großbritannien ist die Pille bereits auf dem Markt; in Schweden, Dänemark und China wurde sie bereits klinisch erprobt. Das soll sie endlich auch hier, forderte Anfang der Woche die Konferenz der GesundheitsministerInnen und -senatorInnen der Bundesländer von Bundesgesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt (CSU).

taz: Die Akzeptanz für die RU486 scheint auch in Deutschland inzwischen ziemlich groß. FrauenärztInnen und Pro Familie schwärmen für diese Pille. Eine Abtreibung damit sei wesentlich schonender als durch einen chirurgischen Eingriff, sie sei sanfter, „weniger traumatisch“. Was ist wirklich dran an der „Wunderpille“?

Sylvia Groth: Es gibt viele Gründe, die gegen die RU486 sprechen. Zunächst ist es sinnvoll, einen Vergleich zwischen dieser Abtreibungspille und der Absaugungsmethode zu machen. Dabei kommt die RU486, die zusammen mit Prostaglandine genommen werden muß, unseres Erachtens recht schlecht weg. Die Vorteile einer mechanischen Abtreibung bestehen darin, daß sie bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich ist. Es gibt keine Kontraindikationen, wenn sie ohne Narkose gemacht wird. Die Methode ist mit 99 Prozent sehr zuverlässig, und die Risiken sind sehr klein. Nachteil: Die Absaugung ist eine inversive Methode, also ein chirurgischer Eingriff, der einer ärztlicher Kontrolle unterliegt.

Der Hormoncocktail RU486 mit Prostaglandine ist eine chemische Methode, die sehr eingreifend sein kann. Es kann passieren, daß der Abbruch nicht vollständig ist, also wiederholt werden muß. Es können unterschiedlich lange Blutungen auftreten. Die Nebenwirkungen der Prostaglandine sind: Übelkeit, Durchfall, Müdigkeit. Die langfristigen Folgewirkungen der RU486 sind noch unbekannt.

Außerdem kommt sie für viele Frauen überhaupt nicht infrage. In verschiedenen Studien wird das unterschiedlich bewertet, aber generell gilt: Frauen unter 18 Jahren und über 35 Jahren sollen sie nicht nehmen, Raucherinnen, Frauen mit Nieren-, Leber-, Gallenleiden, mit hohem Blutdruck, mit unregelmäßiger Menstruation, Frauen, die Allergien haben. Und das wichtigste: Die Frau darf nicht länger als 49 beziehungsweise 56 Tage schwanger sein, das heißt, die letzte Menstruation darf höchstens sieben Wochen zurückliegen. Viele Frauen merken aber gar nicht so früh, daß sie schwanger sind. Mit all diesen Ausschlußgründen und Kontraindikationen eignet sich die RU486 also nur für einen engen Kreis von Frauen.

Viele Befürworterinnen dieser Pille argumentieren damit, daß sie einfach zu handhaben sei, die ärztliche Kontrolle über die Abtreibung verkleinere, die eigene erhöhe.

Das ist nicht wahr. In Frankreich wird sie nur unter sehr starker medizinischer Kontrolle ausgegeben. Es gibt sie nicht in der Apotheke oder bei einem niedergelassenen Arzt. Es sind nur ganz bestimmte Zentren, die diese Pille zur Verfügung stellen. Die Frau muß mindestens viermal dorthin. Zunächst wird ein Gespräch geführt und eine Untersuchung gemacht. Nach einer Woche erhält sie die drei Pillen; wartet dann wieder 48 Stunden, um dann Prostaglandine zu nehmen. Sie bleibt dann vier Stunden in der Klinik, um den Embryo auszustoßen. Das passiert aber nicht unbedingt innerhalb dieser Zeit, das kann auch eine ganze Woche dauern. Dann muß sie nach Hause gehen, um dort auf die Blutungen zu warten, die unterschiedlich lange dauern können. Dann folgt die Nachuntersuchung. Faktisch ist sie also viel häufiger beim Arzt, macht mehrere körperliche Untersuchungen durch und nimmt das Präparat unter Aufsicht. Von weniger Ärztekontrolle kann überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil. Es ist eine andere Form. Außerdem gilt der Paragraph 218 weiterhin, und die Zwangsberatung wird wohl auch bleiben. Also wird diese Pille auch nur unter diesen restriktiven Umständen ausgegeben, die nach wie vor sehr viel ärztliche Kontrolle bedeuten.

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO fördert weltweit Studien über die RU486. Besonders als Massenabtreibungsmittel für die Dritte Welt wird sie favorisiert.

In der Dritten Welt sterben jährlich schätzungsweise 200.000 Frauen an den Folgen von Abtreibungen. Jetzt wird argumentiert, daß die Abtreibungspille diese Tode verhindern könnte. Dabei werden viele Umstände einfach übersehen oder verschwiegen. Erstens die Frage: Ist Abtreibung im entsprechenden Land legal oder illegal? Zweitens: Wie ist die Gesundheitsversorgung insgesamt? Und drittens: Welchen Zugang dazu haben Frauen? In vielen Ländern der Dritten Welt ist bekanntermaßen die Gesundheitsversorgung äußerst schlecht. Die RU486 aber verlangt eine sehr engmaschige medizinische Kontrolle. Außerdem gibt es in vielen dieser Länder ein sehr geringe Drogenkontrolle. Vielleicht wird die Pille einfach über den Ladentisch verkauft. Bei den Komplikationen, die auftreten können, ist das aber gar nicht erstrebenswert. Es wird keine Beipackzettel geben, den Frauen fehlt die Information, wie diese Pille einzunehmen ist. Ganz entscheidend ist auch, daß viele Frauen keine zuverlässige Schwangerschaftsfeststellung haben. Viele werden sie also auch nach der festgeschriebenen Zeit nehmen. Dann aber nutzt sie nicht, kann aber zu Behinderungen beim Fötus führen. Hinzu kommt, daß die Blutungen — eine der Folgewirkungen — bei den Frauen, die aufgrund der ökonomischen Situation mangelernährt und sowieso schon anämisch sind, zu weiteren körperlichen Problemen führen können. Interview: Ulrike Helwerth

RU486: Misconceptions, Myths and Morals heißt ein Buch, das im September 1991 im australischen Verlag Spinifex Press erschienen ist. Die Autorinnen, Renate Klein, Janice G. Raymond und Lynette J. Dumble, Mitglieder des internationalen feministischen Netzwerks gegen Gen- und Reproduktionstechnologie (FINRRAGE), setzen sich darin kritisch mit der Abtreibungspille, ihren Wirkungen und Nebenwirkungen, der Kontrolle, den Implikationen für die „Dritte Welt“ und ihren Profiteuren auseinander. Bestellt werden kann es bei: Spinifex Press, 504 Queensberry Street, N. Melbourne 3051, Australien. Tel./Fax: 03 326 6934. Es kostet 12.95 US-$ (plus 5 $ Porto). Das Buch sucht noch einen deutschen Verlag.

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