Ja-Wort für die „Westschiene“

Hessen gab für die Sendelizenz der Privatfernseh-Alternative grünes Licht  ■ Von Jürgen Bischoff

„Wir brauchen das liberale Medienkapital als Gegenpol zum rechten Kartell Springer/Bauer/Burda“, erklärte der SPD-Mediensprecher im Düsseldorfer Landtag, Jürgen Büssow Mitte der Achtziger. Damals begann auf Befehl des Tankersteuermanns Peter Glotz die SPD, das Ruder langsam in Richtung des privaten Rundfunks herumzuwerfen.

Nun scheint der Wunsch der maßgeblichen Medienstrategen in der Düsseldorfer Staatskanzlei in Erfüllung zu gehen. Die hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk hat als letzte von vier beteiligten Landesmedienanstalten der „Westschiene“ ihre Zustimmung gegeben. Zehn Jahre lang soll sie künftig auf dem Rundfunksatelliten TV Sat 2 senden dürfen. Zum Jahresanfang '93 werden nicht nur die Nordrhein-Westfalen, sondern auch alle anderen BundesbürgerInnen mit einem weiteren Privatfernsehprogramm beglückt.

Eine Veranstaltergemeinschaft ist längst von den gemeinsam zuständigen Landesmedienanstalten in NRW, Bremen, Hessen und dem Saarland für die Lizenzvergabe ausgeguckt worden. Beteiligt daran sind auf mehr oder minder verschlungenen Umwegen Bertelsmann, Alexander Kluges DCTP, in der der große japanische Werbekonzern Dentsu ebenso mitmischt wie der 'Spiegel‘- Verlag, dazu der Holzbrink-Konzern, Warner Brothers, die Westdeutsche Landesbank und andere öffentliche Unternehmen wie die Stadtsparkasse Köln, die Kölner Stadtwerke und die (NRW-) staatliche Provinzial-Versicherung.

Geschickt hat die SPD dabei Schlüsselpositionen besetzt. Paul Leo Giani, auf seiten der DCTP einer der Konstrukteure der Anbietergemeinschaft, war, bevor er ins Medienbusiness einstieg, Holger Börners Chef der Staatskanzlei und damit oberster Medienpolitiker in Hessen. Auf der Seite der Finanziers hat er es mit einem alten Kollegen zu tun: Klaus-Dieter Leister, Ex-Staatskanzleichef in NRW und nun in den Vorstand der West-LB weggelobt. Diese wiederum dient der NRW- Landesregierung schon seit einiger Zeit als Relaisstation für ihr Engagement im Medienbereich. Klar, daß unter diesen Unmständen die anderen, eher mittelständischen Bewerber, um die neue Sendemöglichkeit nicht den Hauch einer Chance auf die Lizenz hatten.

Ein anderes Privatfernsehen soll die „Westschiene“ werden: ein „informationsorientiertes Vollprogramm“, wie sich Erich Staake, der Gründungsgeschäftsführer und Ex- Chef von RTLplus, ausdrückt. Staake und Giani sehen in Nachrichten und Informationssendungen à la Spiegel TV das Senderprofil. Doch längst klingt durch die Verlautbarungen der beiden Organisatoren die Relativierung durch: Man will zwar Neues positionieren, aber das heißt auch nur „jedenfalls nicht so wie die Bestehenden“ (Giani). Gameshows mit reiner Produktwerbung (nach dem Muster von Der Preis ist heiß) „werden nur untergeordnet angesiedelt — wenn überhaupt“. Mal sehen, wie lange die Einschaltquoten da mitspielen.

Auf jeden Fall startet die „Westschiene“ voll durch: Anfang Oktober verkündete man, daß sie 300 Arbeitsplätze am Standort Köln schaffen will. In den ersten fünf Jahren rechnen die Verantwortlichen mit einem Anlaufverlust von 600 Millionen DM. Zum Vergleich: RTLplus startete mit 100 Mitarbeitern und hatte Anlaufverluste in Höhe von 300 Millionen DM.

Diese Kosten wieder hereinzuholen, wird dem neuen Veranstalter ungleich schwerer fallen: Zum einen sinken mit jedem zusätzlichen TV- Programm die Einschaltquoten, auf deren Basis die Werbepreise berechnet werden. Zum anderen ist es schon ein Handicap, mit anspruchsvollerem Programm gegen die private Konkurrenz und ihre Angebote für die ganze Familie anzukämpfen.

Das größte Problem aber stellt die technische Reichweite des neuen Senders dar: Zwar haben sich alle Bundesländer im einschlägigen Staatsvertrag von 1987 dazu verpflichtet, allen Privatsendern, die die Lizenz für den Rundfunksatelliten TV-SAT bekommen, auch Frequenzen auf der Erde zu verschaffen, doch die sind inzwischen knapp. Außerdem funkt die Europäische Gemeinschaft mit ihrer Fernsehpolitik dazwischen: Ab 1992 muß nach ihren Plänen jeder neu zugelassene Veranstalter sein Satellitenprogramm ausschließlich in der neuen Fernsehnorm D2-MAC ausstrahlen. Aber derart ausgestattete Fernsehgeräte sind aufgrund ihres Preises ein Ladenhüter. Tendenziell darf die „Westschiene“ damit rechnen, etwa 40 Prozent der gesamtdeutschen Haushalte auch über die normale Zimmerantenne zu erreichen. Das sind aber nur halb so viel Zuschauer, wie RTLplus und Sat.1 empfangen können.

Zumindest im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein- Westfalen ist seit 1987 gesetzlich vorgesehen, daß Sat.1 seine Frequenzen nur vorübergehend nutzen darf, bis die „Westscheine“ ihren Betrieb aufnimmt. Doch inzwischen ist der Mainzer Privatsender auch im Westen so etabliert, daß ihm niemand mehr ernsthaft die Sendemöglichkeiten entziehen will. Und was den WDR betrifft, hat die Düsseldorfer Landesregierung gerade der Bundespost den Auftrag gegeben, den Äther über NRW nach freien Frequenzen abzusuchen. „Wir denken nicht daran, dem WDR Frequenzen abzudrehen“, sagt NRW-Medienreferent Hans-Gerd Prodoehl.