Die Giftspritze bringt nicht mehr Ertrag

Selbst in der Chemieindustrie wächst die Skepsis gegenüber dem Pestizid-Einsatz in der Dritten Welt  ■ Von Axel Mönch

Lange hat die chemische Industrie den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln in der Landwirtschaft der Dritten Welt auf ihren Werbeplakaten als unverzichtbares Mittel im Kampf gegen den Hunger gepriesen. Inzwischen scheint auch bei den Herstellern Ernüchterung einzutreten. Der Hunger liege wohl doch eher an der mangelnden Kaufkraft und nicht an den fehlenden Pestiziden, gab Klaus Leisinger von der Baseler Ciba Geigy AG kürzlich auf einem Seminar des Pestizid Aktions Netzwerks (PAN) in Frankfurt zu. Deshalb wolle sein Unternehmen auf Hunger als Werbeargument für Pestizide in Zukunft verzichten.

Trotz der offensiven Vermarktungsstrategien war der Pestizidexport in die Dritte Welt in den 80er Jahren rückläufig. Die ärmsten Länder Afrikas importierten gerade einmal ein Prozent der weltweit verkauften Mengen. Wirtschaftliche Stagnation und das Scheitern eines exportorientierten Entwicklungsmodells sind die Ursache, daß diesen Ländern schlicht das Geld für die Einfuhr von Pestiziden fehlt.

Anders als in Industrieländern werden in der Dritten Welt überwiegend Insektizide verwendet. Unkräuter werden noch überwiegend mit der Hand gehackt anstatt mit Herbiziden bekämpft. Der größte Teil der Schädlingsbekämpfungsmittel wird in Entwicklungsländern in Plantagen mit Obst- und Genußmittelkulturen für den Export verspritzt. Doch während die importierten Pestizide, Düngemittel und das Saatgut immer teurer werden, stiegen die Preise für die Endprodukte Baumwolle, Bananen, Kaffee und Tee nicht.

Pestizide werden also so gut wie gar nicht an diejenigen verkauft, die sie nach den Werbeargumenten der Industrie besonders nötig hätten. Darüber hinaus ist fraglich, ob ihr Einsatz überhaupt die Erträge steigern kann. In China nämlich liegen trotz eines um die Hälfte geringeren Pestizideinsatzes die Baumwollernten mit durchschnittlich 900 Kilo pro Hektar höher als in den USA und in der Sowjetunion, die beide Chemie im großen Stil versprühen. Und in Japan ernten ReisbäuerInnen mit hundertmal höherer Anwendung kaum mehr als ihre chinesischen KollegInnen. Die Rechnung, daß mehr Chemie höheren Ertrag brächte, stimmt also nicht.

Auf dem Seminar verständigten sich daher Umweltbewegte und IndustrievertreterInnen darauf, den Pestizideinsatz als eine Art „Versicherungsprämie“ zu beschreiben. Beim intensiven Anbau investieren die Landwirte in Bewässerungsanlagen, mineralische Düngemittel und hochgezüchtetes Saatgut, um den Ertrag zu erhöhen. Damit die fruchtreichen Bestände nicht durch Läuse, Pilze oder andere Schädlinge vernichtet werden, sprühen die BäuerInnen Pestizide. Oder von der Umwelt her gesehen: Nach ohnehin schweren Eingriffen in die Natur müssen die dann sehr anfälligen Kulturpflanzen mit einem weiteren Hammerschlag gegen das Ökosystem gerettet werden.

Während also der Segen der Pestizide kaum nachweisbar ist, sind die Gefahren für AnwenderInnen und Umwelt offensichtlich. Die pflichtgemäßen Warnungen und Schutzhinweise auf den Verpackungen verfehlen ihre Wirkung häufig unter den Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern.

So ist es fraglich, ob eine LandarbeiterIn auf einer Plantage wirklich die empfohlenen Gummihandschuhe bekommt. Üblicherweise müssen sich PlantagenarbeiterInnen mit einer Schale Kokosmilch nach getaner Spritzung begnügen.

Auch der Baumwolloverall, der hierzulande als beste Schutzkleidung gilt, ist sinnlos, wenn er nach der Arbeit wegen Wasser- und Seifenmangels nicht gewaschen wird. Der nach und nach mit Chemikalien getränkte Anzug dürfte eher die gegenteilige Wirkung erzielen. Am schädlichsten für die AnwenderInnen ist die in Entwicklungsländern noch häufig benutzte Rückenspritze, bei der LandwirtInnen immer wieder in Berührung mit den Spritznebeln kommen. Selbst wenn sie Schutzkleidung tragen würden, käme eine zu große Menge durch den Stoff auf die Haut und dann in den Körper, berichtete Bert Lokhorst von PAN Europa. Die organischen Lösungsmittel der Pestizide schädigten direkt Nerven und Gehirn. LandarbeiterInnen, die, wenn auch in geringen Dosen, so doch ständig mit Pestiziden in Berührung kämen, litten langfristig unter neurotoxischen Erkrankungen in Form von vermindertem Reaktionsvermögen.

Die Zahl der akut durch Pestizide vergifteten Menschen ist ungefähr bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt sie mit weltweit drei Millionen Fällen im Jahr an, von denen 220.000 tödlich verlaufen. Hierunter fallen allerdings auch die Selbstmordfälle. Die chronischen Erkrankungen von beruflichen AnwenderInnen zu erfassen, ist weit schwieriger, weil die Folgen erst nach und nach sichtbar werden und auch dann eine gesundheitliche Betreuung und Erfassung nicht immer gegeben ist.

Die Industrie reduziert das Problem von Vergiftungen gerne auf das mangelnde Bewußtsein der Menschen in der Dritten Welt. Mit einheitlichen Piktogrammen auf der Verpackung möchte sie die AnwenderInnen zum Anziehen von Handschuhen und Schutzkleidung bewegen. Die Warnung soll unabhängig von Lese- oder Englischkenntnissen verständlich sein, doch leider bedürfen die aufgemalten Hände (Handschuhe) und an Astronauten erinnernden Menschen (Schutzkleidung) selbst der Interpretation. Zu Mißverständnissen können auch kulturelle Unterschiede führen: Der Totenschädel auf der Packung, der hier jedes Kind in Angst versetzt, steht in einigen Regionen Indiens für eine Gottheit.