Verfassungsexperten für Ausländerwahlrecht

Symposium „Verfassungsreform“ im Hessischen Landtag Grundrechte auf Wohnen, Arbeit und Umwelt definiert  ■ Aus Wiesbaden Heide Platen

Daß der Andrang nicht so groß war wie erhofft, das wurmte den Präsidenten des Hessischen Landtags, Karl Starzacher, schon. Zum Symposium „Verfassungsreform“ im Plenarsaal in Wiesbaden hatten sich nur 120 Gäste, vorwiegend Experten, kaum aber interessierte Bürger, angemeldet. Daran hatte auch die hochkarätige Besetzung des Podiums nichts ändern können. So blieb die Versammlung klein,aber fein, als der im Sommer vom Land Hessen als föderalistisches Korrektiv zum Bund eingerichtete elfköpfige Verfassungsbeirat seine Arbeitsergebnisse zusammenfaßte. Es gehe jetzt darum, sagte Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) in seiner Eröffnungsrede, „die Gewichte und Aufgaben zwischen Bund und Ländern neu zu verteilen“. Das Gremium aus Richtern und Verfassungsrechtlern konzentrierte sich vor allem auf die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Umweltschutz, die als „Staatsziele vordringlich“ seien.

Der Frankfurter Rechtsprofessor Erhard Denninger faßte die Vorstellungen des Beirates zum Grundrecht der Menschen auf Wohnung am Donnerstag nachmittag zusammen. Es ginge zwar nicht an, den Staat zu verpflichten, „subjektiv“ jedem einzelnen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Wohl aber müsse er für die Schaffung von Wohnraum durch Förderung des Wohnungsbaus, dessen ausreichende Sicherung gegen Zweckentfremdung und für Kündigungsschutz sorgen. Unterstützung erhielt der Beirat durch einen Vertreter des Mieterbundes, der im Wohnen mehr sah als die schlichte „Unterbringung“. Wohnen sei auch „der Kern des sozialen Umfeldes der Menschen“. Dem hielt der Haus- und Grundbesitzerverein entgegen, das Grundgesetz werde „aufgeweicht“ und „verkümmern“, wenn es Ziele festschreibe, die in der freien Marktwirtschaft „nicht durchsetzbar“ seien.

Der Beirat mußte sich von seinen Kritikern gefallen lassen, der „Traumtänzerei“ gescholten zu werden. Das Grundgesetz könne nicht „zu einem bunten Warenhauskatalog“ individueller Wünsche umgestaltet werden, der „nur Illusionen wecke“. Denninger hielt dem entgegen, daß nur eine Verfassung, die an die neuen Realitäten des 20. Jahrhunderts angepaßt werde, eine lebendige Verfassung sei. Dies gelte besonders für den Bereich Umweltschutz, der eben vor 40 Jahren noch nicht zur Debatte gestanden habe. Hier schieden sich die Geister am philosophischen Ansatz. Ob der Mensch nun ein Recht auf eine gesunde, unversehrte Natur in seiner Umgebung und auf die eigene Gesundheit habe, oder aber ob auch die Natur im weitesten Sinne grundgesetzlich geschützt werden solle — auch vor den Menschen —, dividierte sich in „anthropozentrische“ und „ökozentrische“ Weltsicht auseinander.

In sachlicher Atmosphäre diskutierte das Plenum den Komplex Asylrecht und Ausländerwahlrecht. Die Gegner des Wahlrechts verwiesen auf das in Deutschland „historische Abstammungsprinzip“, nach dem eben nur deutsche Staatsbürger wählen dürften. Das deutsche Volk sei bodenständig, weil es „bis auf einige Entgleisungen in der jüngeren Geschichte kein Eroberervolk“ sei — im Gegensatz zu den Völkern, bei denen das „Territorialprinzip“, das Wahlrecht nach Wohnort, gelte. Wer daran teilhaben wolle, müsse eben deutscher Staatsbürger werden.

Dem setzte Professor Bryde von der Universität Gießen entgegen, daß es verhängnisvoll für jede Demokratie sei, wenn „eine wichtige Gruppe“ von der Mitbestimmung ausgeschlossen sei. In einem kurzen Exkurs belehrte er darüber, daß auch in Deutschland im vorigen Jahrhundert noch das Territorialprinzip gegolten habe. Geändert habe sich das erst durch die „Blut- und Boden-Debatten im Kaiserreich“.

Für den Ausländerbeirat reklamierte ein Vertreter, daß das Staatsbürgerprinzip schon angesichts der Entwicklung in Europa veraltet sei: „Auch wir sind das Volk!“ Zur Diskussion um die Änderung des Asylrechts fand der Beirat eine knappe Formulierung. Er sehe „keinen verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf“. Eine Grundgesetzänderung werde, darin waren sich die meisten Teilnehmer einig, trotz der vollmundigen Kampagne der Bundesregierung nichts an der Tatsache ändern, daß Menschen vor der Bedrohung von Leib und Leben fliehen. Es nütze gar nichts, das Recht auf politisches Asyl anzutasten. Einigkeit bestand, daß die Asylverfahren auch mit den bestehenden Regelungen beschleunigt werden könnten.