Schamirs Worte dämpfen Hoffnungen

Der israelische Hardliner zeigte gestern in Madrid auch nicht die Spur von Kompromißbereitschaft/ Enttäuschung bestimmte die ersten Reaktionen/ Palästinenser bieten Israel eine Zwischenlösung an  ■ Aus Madrid Beate Seel

Erst am zweiten Tag der Nahostkonferenz in Madrid ließ sich annähernd erahnen, welch ein großer Schritt es ist, wenn jetzt die am Konflikt Beteiligten in einem Raum zusammensitzen. Gestern stand mit den Ansprachen Israels, Jordaniens und der Palästinenser der Kern des bitteren und leidvollen Disputs im Mittelpunkt des Geschehens. Dabei zeigten die Reden der Beteiligten, ungeachtet der von allen Seiten geäußerten Hoffnung auf Frieden, was für ein weiter Weg noch zurückzulegen ist, bis die Völker in der Region tatsächlich einen Hoffnungsschimmer am Horizont sehen.

Die arabische Seite stellte die internationale Legalität, also die UN- Resolutionen 242 und 338, das Prinzip „Land gegen Frieden“, in den Mittelpunkt ihrer Argumentation, das US-Präsident George Bush am Vortag als die Basis des Friedensprozesses bezeichnet hatte. Israel hingegen, vertreten durch Ministerpräsident Jizchak Schamir, verteidigte und begründete den Anspruch und das Recht der Juden in aller Welt auf eine sichere Heimat in Eretz Israel, dem Lande Israel, mit Jerusalem als ewiger Hauptstadt. Fronten, die krasser kaum denkbar sind.

Schamir beendete seine Ansprache mit einem Zitat des Propheten Jesaja: „Frieden, Frieden, in der Nähe, wie in der Ferne, sagt Gott“. Schöne Worte voller Hoffnung und positiver Erwartung. Doch in seiner gesamten Rede, die sich, wie alle Beiträge, auch an die eigene Öffentlichkeit zu Hause richtete, erwies sich der israelische Ministerpräsident als der unnachgiebige Hardliner, als der er gemeinhin gilt. Jedwede selbstkritische Äußerung, wie sie etwa im darauffolgenden Beitrag des jordanischen Außenministers Kamal Abu Jaber durchaus enthalten war, fehlte hier völlig; für die andere Seite sicher nur eine weitere Bestätigung für Israels selbstgerechte Haltung, die Anmaßung, allein nach den selbst gesetzten Regeln zu leben (Jaber).

Schamir begründete das israelische Interesse an Frieden mit der Bedeutung der jüdischen (staatlichen) Souveränität vor dem Hintergrund der Geschichte als Schutz für die Juden in aller Welt vor Verfolgung und Vertreibung: „Als wir heimatlos waren, konnten wir uns auch nicht verteidigen.“ Die Ausführungen Schamirs über die 4.000jährige, sehr besondere Bindung des jüdischen Volkes an die „heiligen Stätten im Lande Israel“ dürften von der Gegenseite als deutliche Absage an einen territorialen Kompromiß verstanden worden sein. In dem anschließenden historischen Schnelldurchgang, der in weiten Strecken an Einseitigkeit und Verdrehungen nichts zu wünschen übrig ließ, goß Schamir neues Öl ins Feuer. Bei allem Verständnis für das Anliegen Israels, in sicheren Grenzen zu leben, ist es diese Art von Reden, von der man sich gewünscht hätte, daß sie in Madrid nicht gehalten werden. Bei einer derart langen Geschichte von Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Vertreibung sind es solche Rekurse oder, genauer, der parteiischen Interpretation der eigenen Geschichte, die die Wunden und Kontroversen der Vergangenheit und nicht die Möglichkeit einer besseren, gemeinsamen Zukunft in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen.

So ist es denn auch naheliegend, daß für Schamir die „territoriale Frage“, anders als für die arabische Seite, nicht zentral ist. Zwar gab Schamir zu, daß irgendwann auch die territoriale Frage nicht zu umgehen ist. Doch vorerst bestand er darauf, daß „es nicht um Gebiete geht, sondern um unsere Existenz“. Wenn die bilateralen Gespräche sich in erster Linie um territoriale Fragen drehen, so Schamir, dann sei das der schnellste Weg, in einer Sackgasse zu landen. Der israelische Ministerpräsident betonte erneut die Bedeutung der bilateralen Gespräche und erwies sich auch hier als unnachgiebig, als er die Gesprächspartner einlud, die erste Runde der Verhandlungen in Israel zu beginnen. Am Rande der Konferenz erklärte allerdings Israels US-Botschafter Salman Schowal, Israel wäre bereit, die erste Runde der bilateralen Gespräche in Madrid abzuhalten.

Natürlich hob auch Schamir in seiner Rede hervor, mit welch großen Erwartungen und Hoffnungen er an den Friedensprozeß herangeht, daß Israel gewillt sei, zu verhandeln, Widerstände und Probleme zu überwinden, bis eine Übereinkunft erzielt worden ist. Doch erste arabische Reaktionen zeigten bereits, daß es nicht solche Worte sind, die der Ansprache des israelischen Ministerpräsidenten ihr Gewicht gaben. „Schamir hat vor zwei Tagen Beobachtungen gemacht, die wir für positiv hielten“, kommentierte Jordaniens Außenminister Abu Jaber, „wir dachten, er habe den Weg zum Frieden eingeschlagen. Der Ton, in dem er heute gesprochen hat, läßt uns leider an Boden verlieren und wirft gewisse Zweifel über die wirkliche israelische Position auf. Wir hoffen, daß dieser Standpunkt nicht der endgültige sein wird.“ Hanan Aschrawi, Sprecherin der Palästinenser, bedauerte, daß die Rede Schamirs nicht eine einzige versöhnliche Geste enthalten habe. So kann man als einziges positives Ergebnis vom gestrigen Vormittag in Madrid vielleicht festhalten, daß die arabischen Delegationen nach der Ansprache Schamirs den Konferenzraum nicht verlassen haben. In Israel wurde die Rede Schamirs dagegen in allen politischen Lagern positiv aufgenommen. Oppositionschef Rabin sagte, die Ausführungen des Ministerpräsidenten entsprächen dem nationalen Konsens Israels. Die Vertreter der Rechtsparteien in der Regierungskoalition versicherten Schamir ihrer Unterstützung, und selbst die Linke wie Mapam und Peace Now gaben an, sie hätten mit den Ausführungen keine großen Probleme.

Es war fast schon ein kleines Wunder, als im Anschluß Abu Jaber das Wort ergriff und sich an das vereinbarte Procedere hielt, ohne auf seinen Vorredner einzugehen. Jordanien, das mehrere Wellen von Flüchtlingen habe aufnehmen müssen, habe ein ganz besonderes Interesse am Frieden, so Abu Jaber, der zugleich — an die Adresse Israels — klarstellte, daß Jordanien nicht Palästina ist. Schon fast gebetsmühlenartig gab er, ähnlich wie sein ägyptischer Kollege vom Vortag, die arabische Verhandlungsposition bekannt: die Wiederherstellung der internationalen Legalität auf Basis der UN- Resolutionen 242 und 338 — und der Resolution 181 aus dem Jahre 1947 zur Teilung Palästinas, die die Gründung des Staates Israel absichert. Diese Position entsprach auch der Abdel Shafis, des Leiters des palästinensischen Teils der gemeinsamen Delegation mit Jordanien. Anders als bei den Rednern aus Kairo und Amman, die die palästinensische Frage zu ihrer eigenen machten, trat mit Abdel Shafi nach Schamir der einzige direkt vom zentralen Konflikt betroffene Vertreter der „Gegenseite“ ans Podium. Als einziger bisheriger Redner ging er auf den Vorschlag Bakers, eine Zwischenphase der Selbstverwaltung bei späteren Verhandlungen über einen endgültigen Status für die Palästinenser, ein.

Der Staat, so Shafi, sei gerade angesichts der Notlage in den besetzten Gebieten schon viel zu lange herbeigesehnt worden; er solle eher heute als morgen errichtet werden. Doch die Palästinenser seien bereit, ein Zwischenstadium zu akzeptieren, vorausgesetzt, vorübergehende Regelungen würden nicht in endgültige verwandelt werden. Realistische Worte, die andere Ansprachen vermissen ließen. Die Palästinenser, beteuerte Shafi, suchten eher einen Willensakt, der einen gerechten Frieden ermöglicht, als Eingeständnisse der Schuld oder Rache für vergangene Ungerechtigkeiten.

Shafi ließ die Lage der Palästinenser unter israelischer Besatzung Revue passieren und wandte sich direkt an die israelische Bevölkerung, „mit der wir ein langen Austausch von Leid“ teilen, mit der Bitte: „Laßt uns statt dessen die Hoffnung teilen“. Mit besonderer Nachdrücklichkeit — und hier haben die Worte Shafis mehr Gewicht als in den Erklärungen der arabischen „Brüder“ — forderte er auch ein sofortiges Ende der israelischen Siedlungspolitik.

Der palästinensische Delegationsleiter beklagte aber auch, daß er in Madrid nur einen Teil seines Volkes vertreten könne, daß Palästinenser aus dem Exil oder Ostjerusalem, die „Seele Palästinas“, ausgeschlossen worden seien. Daß er nicht gewillt ist, sich dem zu beugen, machte er in seinem Schlußwort deutlich: Er bezog sich dirket auf die Friedensinitiative der PLO vom November 1988 und sagte in Abwandlung eines Zitats von PLO-Chef Yassir Arafat, den er ebenfalls namentlich erwähnte: „Laßt den Olivenzweig nicht aus den Händen des palästinensischen Volkes fallen.“ Nach dem Auftakt am Morgen also doch noch ein etwas hoffnungsvollerer Ausklang.