Hengst oder Wallach?

■ „Hengstkörung“: Nicht jeder darf, was er kann / Harte Selektion

Frau stelle sich vor: Bevor das männliche Wesen Nachkommen zeugen darf, wird es von kritischen Augen selekiert. Wie groß ist er, sind die Schenkel gerade gewachsen, ist der Hals nicht zu lang, der Kopf nicht zu groß oder hat er gar einen Überbiß? Wer vor der Zuchtauswahlkommission nicht besteht, hat den Anspruch auf Zeugung verwirkt — Kastration ist sein Schicksal. Nein, nicht Huxleys „Schöne neue Welt“, sondern engstkörung in der Verdener Niedersachsenhalle.

Wer Edelbeschäler, gar Landbeschäler werden will, muß viele harte Prüfungen durchlaufen. Alljährlich veranstaltet der Verband Hannoverscher Warmblutzüchter diese Körung der zweijährigen Hengste. 500 werden gesichtet, nur 100 zugelassen zur Körung. Da galloppieren sie dann an der Hand von ebenfalls galloppierenden Männern in gelben Pullovern durch die heidegeschmückte Niedersachsenhalle, lassen ihre herrlichen Pferdekörper zum Freispringen über Hindernisse treiben und erwarten den Richterspruch der Kör-Kommission. Das sind vier Männer mit seriöser britischer Kopfbedeckung. Ihr Votum entscheidet über Hengst oder Wallach — und für den Züchter über viel Geld. 35.000 bis 40.000 Mark bringt ein gekörter Hengst, der es bis zur dritten Runde geschafft hat.

Die edelsten der künftigen Edelbesamer gelangen allerdings gar nicht auf den freien Markt. Sie werden vorab vom Celler Landgestüt gefesselt. Zehn vielversprechende Hengste sichert sich der Landstallmeister für die Zucht des staatlich subventionierten Gestütes in Celle, das seit 250 Jahres bestes Zuchtmaterial für die weltweit gefragten Hannoveraner garantiert.

Auf die Stuten losgelassen werden die Jungsporne dann allerdings noch nicht. Zuerst müssen sie als Dreieinhalbjährige in der Leistungsprüfung noch zeigen, was für Anlagen als Spring- oder Dressurpferd sie überhaupt weitervererben können. Gefragt sind auch innere Werte wie Leistungswilligkeit und günstiges Temperament. Schaffen sie die Leistungsprüfung nicht, droht wieder Kastration.

Wer auch diese Selektionshürde übersprungen hat, wird auf einer der Deckstationen überall im Lande endlich seiner wahren Bestimmung zugeführt: dem Decken der Stuten. Für 580 Mark Deckgeld läßt der Züchter seine Stute vom Hengst seiner Wahl belegen. Die besten Karten hat, wer in seinem Stammbaum oder seiner Blutlinie große Namen wie Absatz, Bolero oder Pik As aufweisen kann. Bis zu 100mal pro Jahr kann ein Deckhengst des Landgestütes eingesetzt werden. Dann schiebt der Landstallmeister einen Riegel vor.

Das „Produkt Hengst“ ist ein Risiko, meint der Pressesprecher des Züchterverbandes, Dr. Benno Hempel. Er hat schon hochdotierte „Hoffnungsträger“ gesehen, die in der Zucht versagt haben — was immer das heißt. Zur Erhöhung der Trefferquote, pardon: Trächtigkeitsquote, wird auch im Pferdestall seit gut fünf Jahren künstlich besamt. Ist schon hart, so ein Pferdemännerleben! Annemarie Struß von Poellnitz