„Letzte Chance, auszusteigen“

■ Interview mit dem grünen Ampelkoalitions-Verhandler Dieter Mützelburg

hier bitte das

Foto mit dem

Mann

Dieter Mützelburg, 84-86 und jetzt wieder grüner Bürgerschaftsabgeordneter, dazwischen Landesvorstand

taz: Du hast auf der grünen Mitgliederversammlung für den Abbruch der Ampel-Verhandlungen gestimmt. Warum?

Dieter Mützelburg: Weil ich der Meinung bin, daß der schwierige Verlauf der Koalitionsverhandlungen gestern die letzte Chance geboten hat, aus dem Unternehmen auszusteigen.

Und dafür wärst Du gewesen. Warum?

Weil die bisherigen Verhandlungen gezeigt haben, daß es kaum eine Chance gibt, grüne Konzepte durchzusetzen, stattdessen geht es nur um Einzelpunkte.

Und Einzelpunkte reichen nicht?

Selbstverständlich ist es nützlich, wenn zum Beispiel die Martinistraße dichtgemacht wird. Aber wir brauchen für die nächsten zehn Jahre ein Konzept, wie der Verkehr in Bremen reduziert wird und nicht nur Einzellösungen.

Aber nach Abbruch der Verhandlungen kämen solche Konzepte in einer großen Koalition erst recht nicht zustande.

Das Konzept kommt dadurch zustande, daß in den Koalitionsverhandlungen ein Zeichen gesetzt wird, daß es ohne Konzepte nicht geht. Und wenn das Abstimmungsverhalten von mir und einigen anderen auf der grünen Mitgliederversammlung dazu beigetragen hat, dann hat es sich gelohnt.

Die Wirkung der Abstimmung hat doch erstmal das Gegenteil signalisiert: fast zwei Drittel der Grünen sind bedingungslos für die Ampelkoalition.

Der Antrag, den die Mehrheit der Verhandlungskommission vorgelegt hat, war bedingungslos, aber die Diskussion war keineswegs so, daß man davon ausgehen kann, daß die Grünen bedingungslos dafür sind.

Woran liegt es, daß in den Ampel-Verhandlungen Konzepte, wie Du sie Dir wünschst, nicht entstehen?

Erstens ist es ein strukturelles Problem. Die anderen beteiligten Verhandlungspartner, insbesondere die SPD, setzen auf ein „Weiter so wie bisher“ und haben wenig Interesse daran, grundlegende konzeptionelle Änderungen der Politik auszuarbeiten. Und es ist auch ein Problem der Verfahrensweise in der Verhandlungskommission, die von Anfang an nicht über Dissense — und in den Dissensen liegen eigentlich die Ansätze für neue Konzepte — verhandeln, sondern erstmal Konsense herstellen wollte.

Ich denke, wir — und ich schließe mich da ein — haben in der Verhandlungskommission zu Beginn einige Fehler gemacht, die zu korrigieren jetzt sehr schwer ist.

„Ein großer Fehler unserer Verhandlungsstrategie“

Welche denn?

Einen großen Fehler unserer Verhandlungsstrategie finde ich aus heutiger Sicht, daß wir den closed shop so absolut mitgemacht haben, wie er am Anfang vereinbart wurde. Daß wir hinter verschlossenen Türen sitzen, das ist ja o.k. Aber daß im Grunde von den Auseinandersetzungen nichts nach außen dringt, daß die Angst vor den Medien größer ist als das Interesse, über eine kritische Öffentlichkeit Einfluß auf die Koalitionsverhandlungen zu nehmen, das ist fatal.

Dann haben wir uns auf den Konsenskatalog eingelassen mit dem punktuellen Vorgehen. Und wir haben uns zu früh mit der Struktur abgefunden, die vor allem in der SPD-Verhandlungskommission herrscht. Dafür steht vor allem der Bürgermeister.

Der hat alles an sich gerissen?

Das kann man so nicht sagen. Ihm wird alles überlassen.

Die Schwäche dieser Koalitionsverhandlungen ist im Grunde eine Schwäche der SPD?

Ich sehe das so.

„Wedemeier wird von der SPD alles überlassen“

Gibt es da für Euch keine Möglichkeit, Dampf zu machen?

Solange der linke Flügel in der SPD meint, daß sie am Besten versorgt würden, wenn die Grünen ihre Positionen in den Koalitionsverhandlungen einnehmen, dann nicht.

War Deine Stimme gegen die Fortsetzung der Verhandlungen nur ein taktischer Wink in diese Richtung?

Erstmal war es eine Stimme der momentanen Empörung — vor allem mit dem wenig befriedigenden Ergebnis der Verkehrsverhandlungen. Und wenn sie darüberhinaus auch noch taktisch wirkt, dann ist es doch gut so.

Karoline Linnert hat gesagt, in den Koalitionsverhandlungen würden keine Visionen entstehen. Kannst Du Dir zwischen SPD, FDP und Grünen überhaupt solche Visionen vorstellen?

Ich hatte gedacht, daß es ginge. Ich habe nicht gedacht, daß man schnell zu Lösungen kommen wird, und ich denke auch, daß es ohne Kompromisse nicht gehen wird. Aber konzeptionelle Lösungen — von mir aus auch Visionen — für eine künftige Entwicklung in Bremen müßten schon drin sein, damit sich das Unternehmen überhaupt lohnt.

Es wurde auf der grünen Mitgliederversammlung der Vorwurf erhoben, daß Leute in Eurer Verhandlungskommission sitzen, die eigene persönliche KarriereInteressen mit dem Erfolg der Koalitionsverhandlungen verbinden. Könnte das auch ein Grund für Eure Fehler sein?

Das glaube ich nicht, denn die Leute, die persönliche Interessen verfolgen sind auch die, die vorher am intensivsten an der Entwicklung von Konzepten und Visionen gearbeitet haben.

War das Votum der grünen Mitgliederversammlung schon die endgültige Entscheidung für die Ampel?

Wenn es keinen von außen angezettelten Krawall mehr gibt — aus einzelnen Senatsressorts, aus Wirtschaftskreisen oder der Handelskammer, wo eine große Koalition bevorzugt wird, — dann denke ich, ist das so.

Oder Krawall aus Bürgerinitiativen?

Da ist es sehr schwierig. Auf der einen Seite legen sie großen Wert darauf, daß die Verhandlungen festfahren. Auf der anderen Seite stehen viele einzelne aus den Bürgerinitiativen direkt vor der Tür der Koalitionsverhandlungen und werben für ihre Einzelinteressen. Ich bekomme jeden Abend bis zu 20 Anrufe...

...von Initiativen-Lobbyisten. Haben solche Anrufe Sinn?

Man muß davon abraten, weil das unsere sowieso knappe Zeit mit ziemlich wirkungslosen Gesprächen belastet.

Habt Ihr wärend der Verhandlungen auch politische Auseinandersetzungen gehabt, die Spaß machen?

Diese Art von Streit habe ich bis jetzt noch nicht beobachtet. Aber es macht schon Spaß zu sehen, wie andere poltisch taktieren. Und festzustellen, welche Positionen ernst gemeint sind und welche nur gespielt werden. Diese Art von Politik ist für uns ja trotz acht Jahren Parlamentszugehörigkeit weitgehend unbekannt.

Die FDP versteht sich besser darauf?

Die FDP versucht sehr geschickt mit verteilten Rollen zu spielen: Hier der bärbeißige und fundamentalistische Vertreter von Wirtschaftsinteressen, da der joviale liberale Weltmann, der alles ausgleicht.

Wirst Du Dich weiter an den Verhandlungen beteiligen?

Ich scheide jetzt nicht aus der Verhandlungskommission aus.

Fragen: Dirk Asendorpf