Zur Strafe ein Bundeskanzler aus Wachs

■ Jugendliche Delinquenten bauen in »Stattknast« einen Helmut Kohl aus Wachs/ Ausstellung demnächst im Wachsfigurenkabinett/ Künstlerin Edite Grinberga konkretisierte das Gesicht/ Die Bäckchen gerieten zunächst zu füllig

Berlin. Direkt neben Gorbatschow soll Kanzler Kohl am 8. November im Wachsfigurenkabinett im Kudammeck ausgestellt werden, Besucher in mahnendes Gedenken zu stürzen, ihren schweren Alltag vielleicht auch ein wenig zu verbessern. Zur Zeit allerdings bekommen die Einzelteile des westdeutschen Politikers noch einen letzten Schliff.

Im »Stattknast« in der Neuköllner Nogatstraße hämmern und schweißen ein paar jugendliche Delinquenten in Form von handlungsorientierten sozialpädagogischen Maßnahmen noch an seinem eisernen Rückgrat, daß, wie einer der Sozialarbeiter schmunzelnd bemerkt, »nicht allzu groß« sein soll. In der Hermannstraße bemüht sich die lettische Künstlerin Edite Grinberga um den wächsernen Rest des CDU-Vorsitzenden.

Bevor der Kanzler sich ähnlich wurde, war es ein leerer Anzug. Der größte, den die Künstlerin hatte auftreiben können, sollte der Figur als Vorbild dienen. Die Figur wurde zu dünn, wie Kanzlerspezialisten erkannten, und mußte noch in den wahren Kanzleranzug, dessen Maße im übrigen Staatsgeheimnis sind, hineinwachsen. Volmar Arnulf, der seit achtzehn Jahren den Kohl-Körper und nun auch das Kohldouble einkleidet, weiß Genaueres und erzählt, daß er statt 310 Zentimeter Stoff wie für den normal gebauten Mann, 370 Zentimeter für das Oggersheimer Original benötige.

Den tönernen Kopf, der dem wächsernen als Gußform dienen sollte, formte der Bildhauer Hubertus Brandt. Edite Grinberga konkretisierte das Gesicht des Europa-Preisträgers für Staatskunst und gestaltete es menschenähnlicher.

Fotos aus dem Archiv des Bundeskanzleramts und der taz dienten als Vorlage. Bei manchen »kann man sich totlachen.« Die Bäckchen gerieten zunächst zu füllig, wie Kenner der Materie versicherten. So mußte er abspecken. Vielleicht nahm sie ein bißchen vom Gesicht, um den zunächst zu schmächtigen Körper zu verbessern. Nasen- und Ohrenhaare vergaß sie leider. Mittlerweile arbeitet sie »ewig«, das heißt seit drei Monaten »objektiv und leidenschaftslos« an der Kanzlerpuppe.

Behutsam nimmt sie den Kanzlerkopf aus einer Plastiktüte. Zärtlich streicht sie ihm übers Haar, erzählt von anderen Arbeiten — fürs Automuseum in Riga hatte sie beispielsweise Stalin und Breschnew geformt — und erbost sich über die 'BZ', die tags zuvor da war und Edite Grinberga mit frei erfundenen Worten zitiert hatte.

»Es gibt nicht viele Menschen, die so was machen können«, sagt sie über die Brotarbeit, die ihr hilft, beim Malen marktgängige Kompromisse zu vermeiden.

»Wat will denn der hier«, hatte erstaunt noch ein türkischer Jugendlicher gefragt, als der Kanzlerkopf zum ersten Mal im »Stattknast« auftauchte. Inzwischen ist er ein ganz gewöhnlicher Gast und immer für einen kleinen Spaß zu haben. Wenn Fotografen kommen, überlegt man sich, ihn unter die Bohrmaschine zu legen — da fürchtet sich der Kanzler, und die Künstlerin ergreift für ihn Partei.

Einzeln und frei und sinnlos wie ein Baum ohne Wald und Wurzeln liegt der Kopf auf dem Tisch. Lustig sieht es aus, wenn man ihn auf die Spitze der Metallkonstruktion steckt, die später die Puppe aufrechterhalten soll. Das sei für die Jugendlichen doch ein »tolles Erlebnis«, wenn so was hier stattfinde, meint einer der Sozialarbeiter.

Staatsfeindlich lockende Versuche, den Wachskanzler etwa als Voodoopuppe zu verwenden, hat man übrigens von höchster Stelle schon im voraus abgeblockt. Kein Stoff, der mit dem wirklichen Politiker in Berührung kam, wird seine Doublette kleiden.

»Das Bundeskanzleramt hat uns keinen Originalanzug des Kanzlers zur Verfügung gestellt, ließ der Leiter des Wachsfigurenkabinetts Rainer Micklich jedenfalls enttäuscht in der 'MoPo‘ verlautbaren. Eher sinnlos wird es also sein, die Puppe mit Nadeln und Nägeln zu stechen oder den Kopf als Fußball in der Freizeitliga zu treten. Detlef Kuhlbrodt