Sextourismus

SEXTOURISMUS...

Die Reiseveranstalter wollen mit dem Sextourismus — oder, wie es Otto Schneider nennt, mit der „Prostitution im Ausland“ — nichts zu tun haben. Der Präsident des Deutschen Reisebüro-Verbandes (DRV) fragte seine Mitglieder: „Stellen Sie sich vor, ein Geschäft für Campingzubehör verkauft jemandem eine Hängematte. Der Käufer löst daraus einen längeren Strick und bringt damit jemand anderen um. Ist der Ladenbesitzer für den Mord verantwortlich? Hätte er ihn verhindern können? Natürlich nicht!“

Folglich war Schneider auch nicht bei dem Gespräch über Sextourismus und Menschenhandel dabei, zu dem die entwicklungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Ingrid Walz rund zwei Dutzend Vertreter von Verbänden und Entwicklungshilfeorganisationen nach Bonn eingeladen hatte. „Sie sollten die deutschen Verbraucherschützer oder andere gesellschaftliche Gruppen zur Diskussion einladen, nicht jedoch davon ausgehen, daß deutsche Reiseveranstalter bei Ihrem Thema eine Rolle spielen“, schrieb der DRV- Präsident an Walz. Auch die Fluggesellschaft LTU sagte ab („auf einer Dienstreise auf Kuba“), ebenso ihr Tochterunternehmen Jahn Reisen („Dienstreise in die Südtürkei“) und die Lufthansa, die für dieses Thema nicht sich, sondern die „Charterfluglinien der niedrigeren Preisklasse“ als Ansprechpartner sieht. Einige Absagen seien „dermaßen beschämend, vor allem auch was die Tonlage betrifft“, sagt Walz.

Lea Ackermann, Missionsschwester, hat für das Bonner Frauenministerium Sextourismus und Menschenhandel untersucht. Nach der Definition der Reiseveranstalter treffe nur auf ein Prozent der Männer, die in die Länder mit einschlägigem Ruf wie Thailand, die Philippinen oder nach Kenia fliegen, der Ausdruck Sextourist zu. Denn das sei in diesem strengen Sinne nur jemand, sagt Ackermann, der „ausschließlich wegen der Prostitution“ reise und den Sonne, Sand und Kultur nicht interessierten. Das gebe nur ein Prozent an.

Ackermann kann an diesem Nachmittag mit anderen Zahlen aus ihrer Studie dienen: Nach Thailand, beispielsweise, reisten 1989 insgesamt 220.000 Deutsche, 70 Prozent davon Männer. Davon wiederum 50 bis 70 Prozent hätten ihr Reiseziel nur wegen der sexuellen Kontakte ausgesucht. Besonders schlimm sei die Kinderprostitution, erklärt sie. Offiziell werde die Zahl 80.000 genannt, aber thailändische Organisationen sprächen von bis zu 800.000 Mädchen und Jungen, die als Prostituierte ihr Leben fristen müssen.

„Es geht mir in erster Linie darum, Besucher für die sozialen Verhältnisse und damit auch für die Hintergründe von Prostitution zu sensibilisieren“, erklärt die FDP-Politikerin, „mehr Nachdenklichkeit bei Touristen.“ Einig ist sich die Runde darüber, daß man zumindest gerne in den Bordmagazinen der Fluggesellschaften auf die Probleme des Sextourismus hinweisen möchte. Doch bislang scheint nur Interesse an Hinweisen auf Kondome und Safer Sex zu bestehen. Das Aids-Problem sei „verheerend“, in Mitteleuropa herrschten dagegen „paradiesische Zustände“, meint Wolfgang Müller von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung. „Aber Sextourismus läßt sich über Aids-Aufklärung nicht angehen.“

Einen neuen Ansatz, das Problem in den Griff zu bekommen, schlägt der Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes, Willi Erl, vor: ein Seminar für Reiseleiter, wobei das Wort Sextourismus nicht in der Einladung stehen soll, um nicht wieder eine Abwehrhaltung herauszufordern. Christoph Beckmann vom Deutschen Werberat rät außerdem, die Werbung auf Anzeigen für Prostitutionstourismus durchzuforsten und dann den Beschwerderat einzuschalten: „Schreiben Sie uns einfach.“ Bislang sei das Thema Sextourismus „für den Werberat nahezu nicht existent“.

Harald Dern vom Bundeskriminalamt fordert den Gesetzgeber auf, die Polizeibeamten mit den richtigen Rahmenbedingungen auszustatten, damit sie nicht „mit viel Energie und Elan auf ein Pferd setzen, das niemals ankommen wird“. So wie heute oft, sagt Schwester Ackermann. Sie habe 33 Fälle von Menschenhandel recherchiert, nur in 15 Fällen sei Anklage erhoben worden und nur in sechs dann auch ein Urteil gesprochen worden. Vera Hella Fröhlich (ap)