DEBATTE
: Feministinnen in Zugzwang?

■ 'Emma‘ attackiert die ParlamentsvertreterInnen einer Streichung des §218

Die Vertreterinnen der Streichung der §§ 218 ff. werden in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten bedrängt: Bernd Ulrich geißelt sie eines „überkommenen Feminismus“, und Alice Schwarzer „outet“ jeden Monat eine andere „Verräterin“, die sich weigert, dem FDP-Modell (Fristenregelung mit indoktrinativer Zwangsberatung und Strafbarkeit der Frau) zuzustimmen. Vordergründig haben beide nichts miteinander zu tun. Schließlich operiert der eine aus vermeintlich grün-ökologischer Sicht mit der Moral, während die andere uns nur taktisch auf den richtigen Weg bringen will. Es ist dennoch sinnvoll, beide Positionen zusammen zu diskutieren, denn wenn Frau es vorher noch nicht wußte, wird ihr spätestens nach der Lektüre von Bernd Ulrichs Lebensschützerpositionen (taz vom 26.September 1991) klar, daß es mit der Annahme von Schwarzers Ratschlägen eben gerade nicht getan wäre. Deswegen hier einige Gegenargumente zuerst zur Taktik und dann zur Moral:

Der Gesetzentwurf der CDU/ CSU zur Reform des Abtreibungsrechtes hat im Bundestag keine Chance auf eine Mehrheit. Erstens, weil die CDU nur 318 gegenüber 319 Stimmen der SPD, FDP, PDS/LL, Bündnis 90/Die Grünen hat. Und zweitens, weil nicht alle CDU-Abgeordneten, vor allem die aus dem Osten, bereit sind, diesem, an dem Recht der ehemaligen DDR gemessen, äußerst restriktiven Entwurf zuzustimmen. Um einen mehrheitsfähigen Gesetzentwurf hervorzubringen, wäre also ein Kompromiß zwischen einigen Ost-CDUlerInnen, der FDP, der SPD, PDS/LL und Bündnis 90/Die Grünen erforderlich. Die Mitte zwischen der Position der ersatzlosen Streichung und der der Fristenregelung mit Zwangsberatung liegt zweifelsohne bei der SPD, die einen Gesetzentwurf für Fristenregelung ohne Zwangsberatung in den Bundestag eingebracht hat.

Nicht kompromißlerisch

—Anstatt nun die FDP-Frauen bei ihrem liberalen Anspruch zu packen und sie dafür zu „outen“, daß sie wider alle einst öffentlich zur Schau getragene Liberalität gerade beim Thema Abtreibung mit einer Zwangsberatung in die Intimsphäre von Frauen eingreifen wollen,

—anstatt die SPD-Frauen dahingehend zu bestärken, unbedingt wenigstens bei ihrer, für Feministinnen schon ziemlich kompromißlerischen Position zu bleiben,

stellt 'Emma‘ die Position der FDP als einzig durchsetzbare Möglichkeit hin und geißelt statt dessen die Vertreterinnen der vormals auch von 'Emma‘ vertretenen Position des Verrates. Das ist nicht nur taktisch unklug, das ist der Sache der Frauen äußerst abträglich. Die CDU/CSU wird gegen jeglichen Fristenkompromiß, alternativ gegen die Fristenregelung der DDR, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Was dann passiert, liegt im Bereich des Spekulativen. Es kann sein, daß das Bundesverfassungsgericht eine Fristenregelung mit Zwangsberatung à la FDP, so sie vom Bundestag verabschiedet würde, nicht beanstandet. Kommt es nicht zu einem solchen Kompromiß, wird das BVG voraussichtlich die Fristenregelung der DDR als verfassungswidrig erklären. Es könnte dem Gesetzgeber dann die Möglichkeit offenlassen, eine Fristenregelung mit sozialen Hilfsangeboten à la SPD mit oder ohne Zwangsberatung einzuführen. Dann kann darüber im Bundestag auch noch in einer nächsten Runde diskutiert werden. Lehnt das BVG wider Erwarten jegliche Fristenregelung ab, dann brauchen wir einer solchen Regelung jetzt erst recht nicht zuzustimmen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht darin, was das BVG im Falle einer Beanstandung der Fristenregelung der DDR für die Übergangszeit bis zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes vorschreiben würde. Es hat sowohl die Möglichkeit, die Frist, während derer das Recht der DDR vorübergehend weitergilt, zu verlängern, als auch die Indikationsregelung der BRD als Übergangslösung im Osten zu verhängen. Ob allerdings die ungünstigere Ausgangslage, die im letzten Fall für eine Fristenregelung entstehen würde, ein Grund dafür sein kann, jetzt schon mit erhobenen Händen in die Verhandlungen zu gehen, möchte ich bezweifeln. Gerade diese Frage kann nicht isoliert von der politischen Gesamtentwicklung der Republik betrachtet werden.

Wenn wir bei einigermaßen zivilen Verhältnissen bleiben bzw. zu ihnen zurückkehren, dann können wir es uns auf jeden Fall leisten, noch etwas länger für eine erträgliche Regelung zu streiten. Wenn Staat und Gesellschaft sich in den nächsten Jahren hingegen schwärzer und brauner einfärben, zum Beispiel dadurch, daß Grüne und PDS überhaupt nicht mehr, statt dessen aber die Reps in den Bundestag kommen, die SPD also zum Linksaußen wird, oder wenn die Grünen zwar in den Bundestag gelangen, aber ihre vormals feministischen Positionen aufgeben und zumindest in diesem Bereich von SPDlerinnen links überholt werden— was beides nicht ganz ausgeschlossen ist —, dann nützt es auch nichts, jetzt noch schnell eine Fristenregelung mit Zwangsberatung durchzupeitschen. Dies wäre deswegen sinnlos, weil Lebensschützer, bei einem für sie günstigen politischen Klima, Wege finden werden, um diese Regelung per Gesetz oder weiterhin durch propagandistischen Druck zu unterlaufen.

Damit komme ich nun zu der Moral und zu der Beantwortung der Klage, warum Feministinnen in der Frage der Zwangsberatung nicht klein beigeben dürfen. Die Lebensschützer führen ihren Kampf gegen die Abtreibung nicht hauptsächlich auf der gesetzgeberischen Ebene. Bernd Ulrich ist schließlich nicht der erste, der erkannt hat, daß vermeintlich moralische Vorhaltungen viel wirksamer sind. Gestützt durch Kirche und Medien unternehmen sie alles, um in den Köpfen von Frauen das durchzusetzen, was das Strafgesetz bisher nicht schaffte: die Verinnerlichung von Schuld und der Meinung, Abtreibung sei eine unrechte Handlung. Nach der Methode „Haltet den Dieb“ schüren sie zudem Angst und Schrecken vor psychischen Schäden, zu denen eine Abtreibung bei Frauen angeblich führen kann.

Moralischer Druck

In Wirklichkeit verursachen sie diese Schäden selbst. Wenn die Austragung ungewollter Schwangerschaften zur moralischen Pflicht wird, wenn Abtreibung zur Tötung deklariert wird, wenn die millimetergroße Verbindung von Ei und Samen zu „dem Ungeborenen“ personifiziert wird, dann müssen Frauen schon ungeheuer stark sein, um diese Gehirnwäsche ohne innere Zweifel an ihrer Entscheidung zu überstehen. Bernd Ulrich fährt die gleiche Schiene, wenn er an Stelle eines Strafgesetzes Abtreibung zu „etwas gesellschaftlich Unerwünschtem“ erklären will. Ihm gegenüber stehen in jedem Jahr ca. 300.000 Frauen, die es sich wünschen, zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Kind zu bekommen. Wer also ist die Gesellschaft?

Abgesehen davon, daß die Idee der Zwangsberatung abtreibungswilliger Frauen eine Demütigung von Frauen an sich ist, muß vor einer Beibehaltung der Zwangsberatung bzw. vor deren Neueinführung im Osten gerade jetzt ganz entschieden gewarnt werden. Wenn Lebensschützerpositionen bereits in der taz verbreitet werden — von den Grünen ganz zu schweigen —, dann ist es leicht vorstellbar, was Frauen in Zwangsberatungsgesprächen in Zukunft zugemutet werden wird. 51 Prozent aller Beratungsstellen, die vom Bund im Osten gefördert werden, sind kirchlich. 33 Prozent werden vom Deutschen Roten Kreuz oder von den Kommunen getragen. Doch nur 19 Prozent fallen Pro Familia, Arbeiterwohlfahrt oder dem Demokratischen Frauenbund zu.

Wenn der Druck zum Kompromiß weiterhin nur auf Links ausgeübt wird, so wie 'Emma‘ das macht, dann kann es allerdings tatsächlich zu einer Situation kommen, bei der feministische Abgeordnete im Bundestag aus Angst vor einer Verschlechterung einer Regelung zustimmen müssen, die ihrem Gewissen absolut widerspricht. Wir werden das Ergebnis solch einer Abstimmung dann allerdings nicht als Sieg verkaufen, sondern uns daran erinnern, daß wir diese Niederlage sicherlich nicht nur, aber auch 'Emma‘ zu verdanken haben, die uns vor den Augen des politischen Gegners zur Kapitulation zwingen wollte. Und dies zu einem Zeitpunkt, an dem die Verhandlungen noch gar nicht begonnen haben. Jutta Oesterle-Schwerin

Die Autorin ist Ex-MdB der Grünen und z.Zt. Mitarbeiterin von Christina Schenk, MdB.