Startbahn West: Der verlorene Kampf

Vor zehn Jahren räumte die Polizei das Hüttendorf der StartbahngegnerInnen im Mönchbruchwald/ Die „Bewegungsmänner und -frauen“ von damals sitzen heute im Ministersessel  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — „Die Jungs vom Bundesgrenzschutz aus Baden-Württemberg und Bayern waren schlau. Sie kassierten unsere Wachen, die schliefen, überrannten unsere Wachsamkeit. Sie besetzten unser mühsam erbautes Hüttendorf ganz gewaltfrei. Da saßen sie nun und benutzten unser Wehrwerk zur Verteidigung gegen uns. Scheiße!“

So jedenfalls kommentierte Mattias Horx, damals noch Nachwuchsredakteur des Frankfurter Magazins 'PflasterStrand‘ war, zwei Tage später die Räumung des Hüttendorfs der StartbahngegnerInnen (taz vom 4. November 1981). Die Horxsche Empfehlung für die Monate nach der Räumung: „Stück für Stück muß man dem Gegner in den nächsten Monaten Terrain abgewinnen. Bürgerkrieg ist das noch nicht, dazu spielt der Bürger noch nicht genug mit, und auch der Chaot funktioniert nicht so, wie er sollte. Aber eine Front, die braucht man, und sei es im deutschen Forst.“

Parteisoldat läßt aufmarschieren

Zehn Jahre sind inzwischen vergangen. Und schon am 2. November 1987 — exakt sechs Jahre nach der Räumung des Hüttendorfs — brach die „Front im Wald“ endgültig zusammen. Nach den Todesschüssen an der Startbahn auf die Polizisten (er)starb die Anti-Startbahn-Bewegung endgültig. Die Region war da längst befriedet, die einst so renitenten BürgerInnen, die noch bei den Kommunalwahlen 1982 die Grünen zur zweitstärksten Partei in Mörfelden-Walldorf hatten avancieren lassen, wählten wieder brav SPD. Und die Aufkleber „Keine Startbahn West und Nachflugverbot“ waren längst von den Autoheckscheiben verschwunden. Nach diesen Todesschüssen war die Startbahn, von der seit 1984 die Flugzeuge abheben, dann auch bei denen kein Thema mehr, die sich als „Mauerspechte“ oder „revolutionäre Osterhasen“ jeden Sonntag auf Scharmützel mit der Polizei eingelassen hatten.

Dabei hatte diese Bürgerbewegung gegen den Bau der Startbahn West des Rhein-Main-Flughafens in den Jahren 1980 bis 1982 die Welt bewegt — zumindest im hessischen Landkreis Groß-Gerau und in der Sponti-Metropole Frankfurt. Und sie hatte die SPD/FDP-Landesregierung unter Holger Börner und seinem Vize Eckehard Grieß so massiv unter moralischen Druck gesetzt, daß sich der Ministerpräsident in der Nacht nach der Wiesbadener Demonstration von 120.000 Menschen gegen den Startbahnbau mit Rücktrittsgedanken trug. Nur der rasch aus Bonn eingeflogene Bundesverkehrsminister Volker Hauff (SPD) und SPD-Chef Willy Brandt konnten Börner noch vom Handtuchwurf abbringen. Börner zwei Jahre danach: „Ich bin halt ein Parteisoldat.“

Der „Parteisoldat“, der im Startbahnwald die „Polizeisoldaten“ (taz) aufmarschieren ließ, ist längst in Pension. Und die Koalition der Lang- und Grauhaarigen, diese wohl größte Bürgerinitiative in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, ist ein Stück Historie geworden. Schulter an Schulter hatten sie im Spätsommer 1981 die Schaufeln geschwungen und das Hüttendorf im Flörsheimer Wald mit einem Limes aus Erde umgürtet: der Student aus Frankfurt neben dem Rentner aus Nauheim, der Opel-Arbeiter aus Rüsselsheim neben dem Autonomen aus Wiesbaden. Die legendären Küchenfrauen aus Mörfelden-Walldorf bekochten die Hüttendörfler. Und die demoerprobten Lederjackenkämpfer aus den Städten zeigten den „Bürgers“, wie man sich gegen Tränengasangriffe der Polizei zu schützen hatte. „Wir waren eine große Familie mit einem gemeinsamen Ziel“, sagt heute Leo Spahn, einer der BI-Aktivisten, der nach der Hüttendorfräumung, zusammen mit anderen Sprechern der Bewegung, am bitterkalten Tag der 30.000 Demonstranten mit nacktem Oberkörper den Stacheldraht der Polizei überkletterte, um mit Innenminister Gries zu verhandeln — ein ergebnisloses Aufeinandertreffen der Leader der feindlichen Lager. Wegen des „Feelings“ von damals sei „Wehmut“ angesagt, sagt Spahn heute. Man habe damals aber auch „Lehrgeld gezahlt und in den Jahren danach viel gelernt“. Die prinzipielle Auseinandersetzung zwischen den „Wachstumsfetischisten“ auf der einen Seite und den „Bewahrern“ auf der anderen Seite gehe weiter. Spahn: „Im Gegensatz zur damaligen Situation ist Wachstum heute auch bei vielen Politikern kein generell positiv besetzter Begriff mehr. Das rein quantitative Wachstum ist passé.“ Selbst die Frankfurter Flughafen AG müsse bei ihren heutigen Ausbauabsichten qualitative Argumente vortragen. Und das falle denen, „angesichts der Lage an der Umweltfront, immer schwerer“.

Die „Bürgers“ und die „Molliwerfer“

Im Jahre 1981 jedenfalls war die Welt weniger kompliziert. Da sangen die Minister und Stadträte von heute noch mit, daß das weiche Wasser den Stein brechen werde. Die Streben der eilig um das von der Polizei am 2. November eroberte Terrain hochgezogenen Betonmauer wurden nächtens im Dutzend geknackt. Die Eroberung des Hüttendorfs durch die geballte Staatsmacht war allerdings der Anfang vom Ende der Legende. Danach begann im Lager der Bürgerinitiativen die leidige Gewaltdebatte, die letztendlich die Bewegung spaltete. Die „Bürgers“ aus dem Umland distanzierten sich von den Steinen — und „Molliwerfern“ vor allem aus den Großstädten. Und nach dem gescheiterten Volksbegehren verengte sich der breite Widerstand gegen den Startbahnbau ohnehin auf die vom Flughafenausbau direkt betroffenen BürgerInnen aus Mörfelden-Walldorf — und auf die Gruppen aus den Metropolen und der Region, die mit Lust auf Putz im Mönchbruchwald Sonntag für Sonntag die direkte Konfrontation mit dem Staat suchten.

Nur zehn Jahre ist das alles her — zehn Jahre, in denen sich die politische Landschaft nicht nur in Hessen verändert hat. Die „Bewegungsmänner und -frauen“ von damals sind heute Minister (Joschka Fischer und Iris Blaul) oder Stadträte (Dany Cohn-Bendit und Dirk Treber), Gemeindeparlamentarier oder Landtagsabgeordnete. Am längsten leidet wohl der exponierteste Startbahngegner der Jahre 1981/82 an den Folgen seines verbalen Einsatzes gegen den waldfressenden Moloch Runway-18-West während der Wiesbadener Massendemonstration am 14. November 1981: Alexander „Aschu“ Schubart wurde erst im Mai dieses Jahres wegen des „Aufrufs zum Landfriedensbruch“ und wegen „Nötigung einer Landesregierung“ zu 18 Monaten Gefängnis, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Der Kampf gegen die Startbahn, ein verlorener Kampf im Wald — aber ein „Coming-out“ für den politischen Kampf in den Parlamenten für den Natur- und Umweltschutz und in Hessen explizit auch für die Grünen.