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SPD-Präsidium in die Buddelkiste?

Die Bonner Baracke will nach Kreuzberg umziehen/ Nur die Kreuzberger Nachbarn in spe sind darüber nicht sehr erbaut/ Für den Bau des neuen Hauptquartiers müßte ein Kinderspielplatz weichen/ Die Szene in der Nachbarschaft  ■ Von Vera Gaserow

Das künftige Regierungsviertel, die einstige sozialdemokratische Parteischule, das frühere Redaktionsgebäude des altehrwürdigen „Vorwärts“: „das alles ist nur einen Steinwurf entfernt“. Keine Frage, Michael Donnermeyer, seines Zeichens Pressesprecher der Berliner SPD, ist stolz über den Fund, den seine Partei der Mutterpartei in den Schoß legen kann: ein Grundstück, zentral gelegen und unbebaut dazu, hat man gesichtet und zum künftigen Standort für das Hauptquartier der Sozialdemokratie auserkoren. Denn wo alle Politik von Bonn nach Berlin umzieht, da will man auch in der Bonner Baracke die Kisten packen, damit in der künftigen Hauptstadt auch ausreichend Sozialdemokratisches geschieht. Über 200 wackere Parteiarbeiter wollen da untergebracht sein. Für die ein Domizil zu finden war nicht leicht, denn Grund und Boden sind rar in Berlin und die Preise dafür gänzlich unposemuckelig.

Doch die Genossen in Berlin wurden fündig: so „mitten im Leben drin“, in Kreuzberg, auf einem Dreieck zwischen Stresemann- und Wilhelmstraße sahen sie Land. Nicht eines der erlesenen Filetstücke zwar, aber immerhin ein saftiges Schnitzel — und preiswert noch dazu, denn die auserwählte Immobilie gehört keinem Spekulanten, sondern dem Land Berlin. Noch hat der Finanzsenator, der über den Verkauf der landeseigenen Grundstücke zu entscheiden hat, den Sozialdemokraten zwar nicht den endgültigen Zuschlag gegeben. Aber die Chancen für einen Umzug aus der Baracke in Bonn in ein schickes Bürogebäude in Kreuzberg stehen nicht schlecht.

Nur einen Haken hat die Geschichte doch: Berlin ist nicht Bonn, und Kreuzberg wäre nicht Kreuzberg, wenn das Ganze ohne Protest abginge. Ärgernis Nummer eins: Auf dem Grundstück, das die SPD sich so clever ausgeguckt hat, steht schon was: eine kleine Parkanlage mit einem Kinderspielplatz drauf. Zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen gelegen, ist der zwar keine Perle der Spielpädagogik, aber immerhin etwas. Und sehr viel schöner sind Kinderspielplätze in dieser zubetonierten Neubaugegend nun mal nicht. Noch Anfang des Jahres hatten die zuständigen Bezirksgremien eine Bebauung dieses Grundstückes in Frage gestellt und zumindest an Auflagen geknüpft: Wenn dort gebaut werde, dann müsse in erreichbarer Nähe ein Ersatz für Spielplatz und Grünfläche geschaffen werden. Im Sommer jedoch stimmten die Kreuzberger Parlamentarier einer Bauplanung plötzlich zu. Und wie es der Zufall so will, war diese Planung der SPD wie auf den Leib geschrieben. Beobachter der politischen Szene feixten. Böse Zungen in der AL sprachen von „Mauschelei“.

Von einem Ersatz für den Kinderspielplatz ist nun keine Rede mehr. Wo sollte der auch herkommen? Die Gegend ist ohnehin schon reichlich zugebaut, und nach der Hauptstadtentscheidung sind selbst längst projektierte Spielplätze wieder fraglich geworden. Ein Quadratmeter Grund und Boden kostet hier beinahe soviel wie ein japanischer Kleinwagen. Schön dumm, wer aus dieser Goldgrube eine Buddelkiste macht! Eine zweistellige Millionensumme müßte die SPD wohl auf den Tisch legen, um ein Ersatzgelände in der Nachbarschaft zu erstehen. Und das ist zu viel für eine demokratische und darüber hinaus noch soziale Partei, meint man im Bonner Parteivorstand. Wolfgang Scheidt, Organisator in der Bonner Baracke, ist da ganz pragmatisch: „Wenn ich ein Baugrundstück erwerbe, muß ich mir keine Gedanken darüber machen, wo die Kinder spielen. Das ist nicht mein Problem, das ist Sache des Landes Berlin.“ Punktum!

Zu Hause im Land Berlin wissen die heimischen Sozialdemokraten schon eher um Kreuzberger Empfindlichkeiten und Hauptstadtrenitenz. Hier schwant den Genossen, daß es nicht immer von Vorteil sein muß, wenn man von allem „nur einen Steinwurf entfernt ist“. Dementsprechend hat man die Samthandschuhe angezogen und schreibt verständnisvolle Briefe an die zukünftigen Nachbarn der SPD-Prominenz. Von einer „demokratischen, sozialen und stadtverträglichen“ Vorgehensweise ist da die Rede, von einem „Höchstmaß an Transparenz und Kooperationswillen mit allen Beteiligten“ und von „demokratischer Gesprächskultur“ — aber auch davon, daß man die einmal getroffene Hauptstadtentscheidung nun auch mit allen Konsequenzen tragen müsse. Der Kinderspielplatz, heißt es beschwichtigend, könne ja auch in die Bauplanung integriert werden. Nun dürfen Stadtplaner und Architekten rätseln, wie das wohl gehen soll, ohne daß Björn Engholm in seinem Büro eine Kinderschaukel aufstellt und das SPD-Präsidium künftig im Buddelkasten tagt.

Aber nicht nur der Verlust des Kinderspielplatzes ärgert die Anwohner. Zumindest einige von ihnen sind gar nicht erpicht darauf, in unmittelbarer Nachbarschaft der SPD- Prominenz zu leben. Sie sehen sich von Sicherheitsüberprüfungen, Straßensperren und Bannmeilen drangsaliert, wenn die Parteispitze in die Nähe zieht. Solcherlei Hauptstadtunbillen kennt man in Berlin bisher schließlich nicht — und will sie, zumal in Kreuzberg, auch gar nicht kennenlernen. Zu guter Letzt könnte noch etwas anderes für einige Spannungen sorgen. In unmittelbarer Nähe des künftigen Parteidomizils hat eine andere Institution ihren angestammten Sitz: hier residiert seit Jahren das 1973 besetzte „Thomas- Weißbecker-Haus“ — ein Jugendwohnprojekt, das gleichzeitig Anlaufstelle für junge Trebegänger ist. Die sprühen schon mal die Wände in der Gegend voll. Und in unregelmäßigen Abständen finden im Weißbecker-Haus überdies phonstarke Punk-Konzerte statt, die nicht immer nadelstreifengerecht und gesittet ablaufen. Nach reichlichem Bierkonsum leert da der eine oder andere männliche Besucher seine drückende Blase schon mal auf der Straße aus. Das hat bisher niemanden so recht gestört. „Aber was“, so fragen die Bewohner des Hauses nun besorgt, „was passiert, wenn einer dabei dem Engholm ans Auto pinkelt?“

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