: Als die Kicker kassieren lernten
■ Ein Buch über Geschichten, die der Fußball schrieb / Oberliga Nord 1947-63
„Man kann es lernen, man kann es aber auch vom Vater ererbt haben, dieses leichte Zaubern mit dem Ball. Ralph Pendorfs Vater war ein großer Könner.“ Solchermaßen literarisch ging es auf den Sportseiten zu, als der Fußball noch nicht Fernsehspektakel, sondern lokaler Volkssport war. Die Rede ist von den 50er Jahren, als das Wort Libero noch nicht erfunden und der Mittelfeldspieler Halbstürmer hieß.
Einer, der einen großen Vater hatte, ist heute noch Fußballdenkmal. Erwin hieß der Vater, geboren im Hamburger Arbeiterstadtteil Rothenburgsort. Und als Erwin dann eines Tages 10 Tore pro Spiel schoß, da bekam er schon mal fünf Mark zugesteckt. Irgendwann wechselte er vom Arbeitersportverein zum damals schon hochnoblen HSV, und der der spätere Professor zu Tübingen, Walter Jens, urteilte: „Das ist Klassenverrat — Erwin Seeler spielt für das Kapital.“ Mit dem Wechsel von Vater Seeler war der Grundstein für den deutschen Spitzenverein Hamburger SV gelegt. Denn wie der Vater spielten dann auch die Söhne Dieter und vor allem „Uns Uwe“ für die Mannschaft, die damals noch vom Rothenbaum kam. Und wie der Uwe mit dem Charlie Dörfel und einem schlacksigen Kerl mit dem herrlichen Namen Heinz Spundflasche den Rest des Fußballnordens in Grund und Rasen spielte, diese und viele andere Geschichten, die der Fußball zwischen Kiel und Göttingen schrieb, sind in dem Buch „Spundflasche mit Flachpaßkorken“ nachzulesen.
Die Oberliga Nord, das war mit entsprechenden Ligen im Süden, Südwesten und Westen von 1947 bis 1963 die höchste westdeutsche Spielklasse. Die ersten beiden in der Abschlußtabelle durften danach mit Schalke, Dortmund, Tasmania 93 oder Westfalia Herne um den deutschen Meistertitel spielen. Und neben dem norddeutschen Dauermeister HSV, der von Uwe Seeler von 1955 bis zur Einführung der Bundesliga 1963 immer mit neuen Torschützenrekorden an die Spitze geschossen wurde, spielten auch heute völlig untergegangene Mannschaften eine Rolle. Wie zum Beispiel Bremerhaven 93: Die Mannschaft konnte 1954 zum ersten und einzigen Male Werder Bremen hinter sich lassen und qualifizierte sich als Zweite für die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft, wo sie sich nach hartem Kampf der Wormatia aus Worms beugen mußte.
In diesem Jahr stieg der Bremer SV aus der Oberliga Nord ab und mußte damit endgültig den Traum begraben, in Bremen die Nummer eins zu werden. Spätestens jetzt hatte sich der „Bonzenklub Werder Bremen gegen den Arbeiterverein“ mit Anhängerschaft in Gröpelingen und Walle durchgesetzt. „Bonzenklub“, das war Werder vor allem, weil der Verein schon gleich nach dem Krieg mit Sponsorengeldern anfing, sich eine Mannschaft zusammenzukaufen. Der Pferdehändler und Willi Lemke Vor-Vorgänger Hansi Wolff zog als Geschäftsführer von 1945 bis 1975 die Fäden. Und Wolff lockte den jugoslawischen Torwart Dragomis Ilic nach Bremen. Der verschwand zwar schon kurz nach seiner Verpflichtung 1949 spurlos, doch dank seiner guten Kontakte fand Wolff seinen Torwart im Saarland wieder. Wolffs Reisetasche war gut bestückt, und Illic kam zurück nach Bremen und wurde dort bis 1963 zur Torwartlegende.
Solche Finanzaktionen mußten in aller Stille durchgeführt werden. Denn das Zahlen von Handgeldern war damals strikt verboten und wurde mit Geldstrafen und Spielersperren bestraft. So wurde einer der Sünder, Willy Schröder, von der gestrengen Fußballjustiz bis nach Frankreich verfolgt und schließlich mit langen Sperren bestraft. Werder nahm den Verstoßenen ganz eigennützig wieder auf, und dieser wurde schließlich Nationalspieler, durfte 320 Mark im Monat einstecken und kaufte sich ein Tabakwarengeschäft. Und immer am Montag kamen die Fans, um sich ihre Zigaretten zu kaufen und sich von Schröder erzählen zu lassen, wie es denn am Sonntag wirklich war. hbk
Jens R. Prüß (Hg.) Spundflasche mit Flachpaßkorken - Die Geschichte der Oberliga Nord 1947 — 1963, Klartext Verlag 1991, 252 Seiten, 44 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen