Japan: Regierungsbildung ohne Chef

Der zukünftige Premierminister Miyazawa kann sich bei der Kabinettsbesetzung nicht durchsetzen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Kaum eine Woche ist es her, seit Kiichi Miyazawa als Japans kommender Regierungschef auserwählt wurde. Doch seine Autorität als neue Nummer eins hat der angehende Premierminister schon wieder verloren. Ohne ihn zu fragen und ohne sein Wort abzuwarten, haben Japans Spitzenpolitiker ihren rücksichtslosen Kampf um die Kabinettsposten unter sich ausgetragen. Nach Kompetenz oder Loyalität zum Regierungschef wurde dabei nicht entschieden. Miyazawa konnte nur zuschauen.

Nach der Verfassung bestimmt auch in Japan der Premierminister seine Kabinettsmitglieder. Wenn es aber um Personalpolitik geht, hat die Verfassung in Japan augenscheinlich keinen Wert. Deshalb wird Kiichi Miyazawa wohl oder übel mit dem Außenminister Michio Watanabe Vorlieb nehmen müssen, einem Provinzpolitiker, den man im Ausland für seine rassistischen Äußerungen gegenüber Schwarzen bereits heftig kritisiert hat. Doch Michio Watanabe ist Chef einer in den letzten Tagen erstarkten Parlamentsfraktion. Also fragt die Partei nicht Miyazawa, sondern Watanabe darf sich den Regierungsposten aussuchen.

Das Gedränge der Politiker ist um so größer, da die Regierungspartei offenbar eine Generalamnestie für ehemalige Skandalsünder ausgerufen hat. Miyazawa gehörte selbst zu den der Bestechlichkeit überführten Verantwortlichen, als die Firma Recruit Cosmos vor zwei Jahren Politikern unerlaubte Profite an der Börse verschaffte. Watanabe profitierte ebenfalls. Doch damit genug: Heute stehen auch totgeglaubte Politiker wieder auf, die bereits mit Gefängnisstrafen büßen mußten.

In diese Kategorie der Vorbestraften fällt der 63jährige Koko Sato, den Miyazawa zum neuen Geschäftsführer der Regierungspartei berief — gezwungenermaßen, denn Sato ist ein Schützling des Shin Kanemaru, jenem Fraktionsführer, dem Miyazawa seine Ernennung verdankt. Von Kanemarus Telefonanrufen zu später Abendstunde berichten nun jeden Morgen die Tokioter Zeitungen. Demnach gilt dann als ausgemacht, wer welchen Posten erhält.

Um nicht allein die zukünftige Kabinettsriege von Bestechlichen zusammenhalten zu müssen, versucht der neue Regierungschef seinen Aufseher Kanemaru zumindest in die Parteiführung miteinzubinden. Miyazawa bot Kanemaru das neu zu schaffende Amt eines stellvertretenden Parteivorsitzenden an. Doch der schlug vorerst aus. Kanemaru will sich frühestens im Januar entscheiden, ob er Miyazawa direkt bei der Führung seiner Amtsgeschäfte unterstützen will. Damit macht er die Personalfrage an der Regierungsspitze noch komplizierter.

Die Japaner jedenfalls, die in den letzten Tagen erfahren wollten, wer sie in Zukunft wirklich regiert und über die höchste Macht im Staat verfügt, sind immer noch nicht klüger geworden.