INTERVIEW
: „Die Leipziger Polizei ist unfähig“

■ Jochen Läßig, Fraktionschef von Bündnis 90/Grüne im Leipziger Stadtparlament, über die Gewalt in Leipzig-Connewitz und über die fehlende Reaktion von Stadt und Polizei

Anfang Oktober geriet der Leipziger Stadtteil Connewitz in die Schlagzeilen. Rechtsradikale Horden zündeten eine linkes Szenelokal an, überfielen ein von Autonomen besetztes Haus und schlugen die Bewohner krankenhausreif. Nach den Angriffen auf die Ausländerheime haben die rechtsextremen Schlägertruppen offenbar schon den nächsten Feind im Visier. Die Leipziger Polizei glänzte durch Abwesenheit. Aber auch die Politiker der Stadt hüllten sich in Schweigen. Momentan herrscht eine Art „Waffenstillstand“. Wie lange er halten wird, weiß niemand...

taz: Herr Läßig, von seiten des Bündnis 90/Grüne gab es bislang keine öffentlichen Äußerungen zu den Auseinandersetzungen zwischen linken und rechtsextremen Gruppen. Wissen Sie überhaupt, was in diesem Stadtteil los ist?

Jochen Läßig: Erst einmal: Wir wurden tatsächlich davon überrascht und haben erst nachträglich versucht, mit den Opfern wie auch mit der Polizei ins Gespräch zu kommen. Es ist sehr schwer, mit den Autonomen zu reden. Sie sagen ganz einfach: über Rathauspolitik und Polizei zu diskutieren, lehnen wir ab. Die haben das Gefühl, daß sie von diesen Leuten ohnehin nicht geschützt werden, daß sie ein Makel für die Stadt sind, die Schmuddelkinder, die man lieber weghaben will. Und es stimmt, daß die Stadtverwaltung bislang dieses Problem — also den Konflikt zwischen Rechten und Linken in Connewitz — nicht ernst genommen hat.

Fühlen Sie sich als Bündnis 90/Grüne überhaupt für die „Schmuddelkinder“ zuständig?

Wir haben versucht, das Problem während der letzten Aktuellen Stunde im Parlament anzusprechen. Aber die Diskussion über Müllprobleme und ähnliches hat dafür keinen Raum gelassen. Aber es stimmt, daß auch wir nur schwer an die Gruppe der Autonomen in Connewitz herankommen. Es gibt in dieser Stadt relativ wenig Kommunikation...

Entschuldigt man jetzt das Nicht-Verhalten mit Kommunikationsschwierigkeiten?

Nein. Das ist eine Situation, die aus der alten Zeit stammt. Der Kernsatz des Neuen Forums war ja: In diesem Land ist die gesellschaftliche Kommunikation gestört. Daß ich nach den Überfällen mit den Schultern gezuckt habe, lag auch daran, daß mir keiner geschildert hat, was wirklich vorgefallen war, und daß die Polizei überhaupt nicht da war.

Was muß denn in der Zukunft passieren, um solche Übergriffe zu verhindern?

Vor allem mache ich die Polizei dafür verantwortlich, daß es zu diesem Ausbruch von Gewalt überhaupt kommen konnte. Die Polizei stellt offenbar in Frage, ob die Autonomen schützenswert sind. Nicht anders ist es zu erklären, daß sie alle verfügbaren Kräfte vor dem Asylbewerberheim konzentriert. Mein Eindruck nach Gesprächen mit der Polizei ist, daß es solche Gedankengänge in ihren Reihen gibt. Und das allein ist natürlich ein Skandal. Einzelne Polizisten gehen davon aus, daß es unter den Linken gewaltbereite Gruppen gibt und daß man dann wohl nicht so reagieren muß wie bei Übergriffen auf Ausländerheime — nach dem Motto: Wir können nicht überall sein. Und da wir nicht genügend Leute haben, muß eben eine Lücke bleiben. Damit kann man auch den Unwillen, in Connewitz einzugreifen, entschuldigen.

Sie schieben die Verantwortung also ab?

Das Problem liegt nicht bei der Stadt, sondern bei der Polizei. Sie hat sich als unfähig erwiesen. Die Polizei hat eine schlechte Tradition in diesem Land, ist unterbezahlt und muß ein rechtsstaatliches Bewußtsein erst entwickeln. Es ist allerdings Sache der Politik, die Bedingungen dafür zu schaffen.

Sie wollen also eine schlagkräftigere Polizei für Ihre Stadt?

In gewissem Sinne ja. Angesichts der Situation, die wir hier in Leipzig haben, wo das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt wird, muß man nach einer qualifizierteren Polizei fragen. Der Polizeiberuf muß aufgewertet werden, und es darf einfach nicht jeder eingestellt werden. Sonst sammelt sich dort eben eine Szene, die nicht rechtsstaatlich denkt. Auch müssen wir die Zahl der Polizisten in Leipzig erhöhen. Ansonsten ist es doch illusorisch anzunehmen, daß solche Übergriffe in Zukunft verhindert werden können. Wir müssen wenigstens drei Viertel der Polizisten haben, über die eine vergleichbare westdeutsche Großstadt verfügen kann. Das ist bitter, aber ich halte diese Forderung für notwendig. Interview: Nana Brink