: Sicherheitsrisiko — ohne Unterschied
■ Die Leipziger Polizei macht anläßlich der Veranstaltungsliste zum 9. November mobil
Bei der Leipziger Polizei blicken die Verantwortlichen in dumpfer Vorahnung auf den nahenden 9. November. Ein Sprecher bezeichnet das in vielerlei Hinsicht schicksalsträchtige Datum als „Horrortag“: Vor ihm liegt eine lange Liste mit Veranstaltungen der „verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen“. „Gar nicht auszumalen, wer da alles mobil macht“, stöhnt er und zählt in vorwurfsvollem Ton die Veranstalter auf: Die neonazistische FAP plant einen Fackelzug um das Völkerschlachtdenkmal, Bündnis '90/ Grüne rufen zur Kundgebung in der Innenstadt, an der Synagoge der jüdischen Gemeinde soll eine Kranzniederlegung stattfinden, und im Fußballstadion spielt der VFB Leipzig gegen Rot-Weiß aus Erfurt. Sein sicherheitstechnisches Bewußtsein läßt ihn in Gedanken bereits die Wasserwerfer zusammenzählen. Ohne Unterschied erscheint ihm jeder, der am 9. November auf die Straße geht, als Sicherheitsrisiko. Mit dem Stöckchen vor dem Stadtplan grübelt der verbeamtete Stratege über dem Einsatzplan und verteilt seine spärlichen Mannen: „Wir dürfen das Asylantenheim da nicht vergessen, und ja — die besetzten Häuser in Connewitz sind jetzt auch ein sensibles Gebiet.“ Anfang Oktober überfielen dort rechtextreme Horden von Autonomen besetzte Häuser und fackelten eine Szenelokal ab. Die Polizei glänzte durch Abwesenheit.
Gerade in letzterem Fall ist die Leipziger Polizei unter Beschuß geraten und handelte sich den Vorwurf ein, den entstehenden Stadtteilkrieg zwischen rechten und linken Jugendlichen eskalieren zu lassen. Nachdem sich sowohl die Stadtregierung wie die hiesigen Medien in Schweigen hüllten, schiebt man den schwarzen Peter nun der Polizei zu (siehe auch Interview): sie sei unfähig, das drohende Gewaltpotential an der rechten Ecke ausfindig zu machen. Um nicht in den Ruf zu geraten, „eine Hochburg des Rechtsextremismus“ zu sein, so Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD), habe er den Fackelzug der FAP aus „sicherheitstechnischen Gründen“ bereits verbieten lassen. Die FAP kann allerdings unter Umständen beim Verwaltungsgericht unter Berufung auf die Versammlungsfreiheit eine einstweilige Verfügung erreichen. Wenn nicht am Völkerschlachtdenkmal, muß ihr ein anderer Ort zur Verfügung gestellt werden. Das Verbot des Fackelzuges ist einigen bei der Polizei gar nicht recht. „Wenn die nicht ihre Veranstaltung machen dürfen, dann gibt es doch erst recht Randale“, spekuliert ein Beamter aus der Einsatzleitung. „Wir rechnen fest damit, daß da viele Sympathisanten auch aus anderen Teilen Deutschlands kommen werden.“
„Am 9. November steht alles in den Stiefeln“
Eines zumindest scheint endgültig klar: Nach den Übergriffen rechter Banden und der Anmeldung der Veranstaltung kristallisiert sich ein wachsendes Organisationsgefüge der rechten Hardcore-Szene in Leipzig heraus, an deren Spitze die FAP steht. Und der kommt der 9. November gerade gelegen. Bislang traten in Leipzig keine der bekannten rechtsextremen Organisationen wie die Deutsche Alternative oder die Wikingjugend namentlich in Aktion. Für ihre zunehmende Organisierung sprechen auch geheimgehaltene „Waffenstillstandsgespräche“, die zwischen Vertretern der FAP und linken Gruppen im ehemaligen Studententreff in der Moritzbastei geführt worden sind. Über den Ausgang halten beide Seiten dicht, als ginge es um Staatsgeheimnisse. Daß es sich nicht nur um pubertäre Indianerspiele rivalisierender Jugendlicher handelt, zeigen sowohl die Waffenarsenale — in einem von Rechten bewohnten Haus im Osten der Stadt wollen Szenekenner Kisten mit russischen Handgranaten gesichtet haben —, als auch mehrere Schwerverletzte von den letzten Überfällen.
Die neue Sonderkommission Rechtsradikalismus (Soko Rex) bei der in Leipzig ansässigen Landespolizeidirektion läßt ihren angeblich „ersten Erkenntnissen“ bislang keine Taten folgen. Ihre Kollegen in Chemnitz sind da um einiges weiter: In Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und dem Aufbaustab des sächsischen Landeskriminalamtes durchsuchten sie vor zwei Wochen 40 Wohnungen von aktenkundig gewordenen Rechtsradikalen. Bilanz: Neben einigen hundert Schlag- und Stichwaffen (vom Baseballschläger bis zur Machete reichte das Arsenal) konnten Schußwaffen und scharfe Munition sichergestellt werden.
Währenddessen verteilt ein Verantwortlicher aus der Einsatzleitung die spärlichen Einheiten übers Stadtgebiet. Man will ja nichts herbeischreien, aber das Szenario sei doch folgendes: in Connewitz die Linken („die schlagen doch auch zu, machen wir uns doch nichts vor“), in Grünau die Rechten und dazwischen die Kundgebung der Bürgerbewegten, die Synagoge und das Fußballstadion. Wo die Polizei steht, sei auch klar: „Am 9. November steht bei uns alles in den Stiefeln.“ Nana Brink, Leipzig
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