Biographie, gespielt

■ Reihe Festival Freie Theater: „Trotz allem steht der Baum in Blüte“

Die Idee ist spannend. Eine Frau, geboren während der Kaiserzeit, aufgewachsen in einer nationalistisch-reaktionären Atmosphäre — diese Geschichte hat die Bremer Schauspielerin Claudia Scholl auf die Bühne gebracht. Die gespielte Frau ist Isabelle Scholl, die Großmutter der Schauspielerin und Textautorin.

Das Stück heißt Trotz allem steht der Baum voll Blüte und zeigt fragmentarische Szenen aus dem

Frau mit

weißem Tuch

Leben Isabelle Scholls, dem hilflosen Anrennen gegen Konventionen und männliche Unterdrücker-Strukturen, der Suche nach Liebe und Freundschaft und dem Scheitern aller Bemühungen. Isabelle Scholl landet in einer psychiatrischen Anstalt.

Auf der Bühne: Ein Laken, ein Stuhl, ein Gedichtband, ein geigenartiges Saiteninstrument und ein Korb. Dahinter eine Reihe von Stellwänden, zum Teil bemalt. Eine junge Frau betritt singend das Podium und bietet selbstgemachte Seife zum Verkauf an. Sie ist fröhlich, so hat es den Anschein, und sie weiß, was sie will. Licht aus, Licht wieder an, eine neue Szene. Jetzt ist die Frau gar nicht mehr so fröhlich, sie hat Angst. Auf dem Laken, unter dem Laken, auf dem Stuhl, mal als Isabelle selbst, als ihre Mutter, als ihr Ehemann Fritz schlüpft die Schauspielerin Claudia Scholl in immer neue Rollen ihrer leiblichen Vorfahren. Das szenische Puzzle nimmt Konturen an, wie erfahren Eckpfeiler der brüchigen Psycho-Struktur eines Menschen, den die Umwelt als ein Produkt ihrer selbst ansieht. Die Eltern sind dull, von politischer Anpassung und sozialen Rollenklischees beherrscht, der Mann deutsch-national bis faschistisch. Schon allein die Vorliebe für Beefsteak gerät da zum Sinnbild für fremdländische Un- Kultur, die fragile Freundschaft

zu einem jüdischen Zirkus-Mädchen wird rigoros unterbunden. Was bleibt, ist Verzweiflung, Angst und die Flucht in den Wahn, in eine eigene Phantasiewelt.

Das hört sich spannend an. Doch die Bewältigung der Vergangenheit der eigenen Familie läuft Claudia Scholl aus dem Ruder. Dort, wo ihr Spiel am stärksten ist, beim schnellen Wechsel der Rollen vom zunächst charmanten Ehemann zur schüchternen Isabelle, folgt in den weiteren Szenen Leerlauf. Claudia Scholl benutzt zu viele, zu beliebige Versatzstücke, um die jeweilige Epoche mit der Befindlichkeit der Großmutter zu fokussieren. Das Scheitern der Mutter als Schutzinstanz kulminiert im platten „Ich wollte immer einen strammen Jungen“, der Versuch der Darstellung von Vereinsamung und Desorientierung endet in der Demontage der Stellwände. Eine Rede Hitlers aus dem Off vom Band schließlich ist das fleischlose Bemühen, dem menschenverachtenden Zwangssystem der Nationalsozialisten eine theatralische Form zu geben.

Claudia Scholls biographisches Protokoll weist darüberhinaus zwei unverständliche Schnitzer auf. Warum der Ehemann Fritz als ausgewiesener Nazi im KZ landete, bleibt das Geheimnis der Solo-Schauspielerin. Unverzeihlich, weil überaus peinlich, ist allerdings die Verwendung des jiddischen Liedes „Sog nit kejnmol“ von Hirsch Glik, einem im Wilnaer Ghetto internierten Dichter. Das ist verhackstückte, aus dem Zusammenhang gerissene und völlig deplazierte jüdische Kultur als Betroffenheits- Mäntelchen für Leid und Trauer. Jürgen Francke