Stricke, Lampen, Stühle

■ Zwei Performance-Abende im Kunstverein »Giannozzo«

Der Kunstverein Giannozzo, dessen Namensgebung auf Jean Pauls Buchtitel Des Luftschiffers Giannozzos Seebuch zurückgeht, setzt sich speziell für Künstler ein, in deren Arbeiten sich Musik, bildende Kunst und Wissenschaft treffen.

Am Freitag abend begann im Theater 89 in der Wilhelm-Pieck- Straße das zweite »Giannozzo Live Festival«. Marie Kawazu, eine japanische, in Paris lebende Performance-Künstlerin, eröffnete den Abend unter dem Titel Once a Story in Berlin. Aus dem Halbdunkel erhebt sie sich mit einem netten japanischen Sonnenschirm, spaziert im gleißend werdende Licht hin und her, wohl um sich erst mal einzustimmen. Musik ertönt über Lautsprecher, arienhafte Gesänge zu dröhnendem Diskofundament. Die Dramatik steigert sich zusehends, Marie Kawazu beginnt sich im glitzernden, enganliegenden Kleidchen mit weißem Puder einzunebeln. Bereitliegende Stricke spannt sie nun zwischen dem beidseitig aufgereiten Publikum hin und her, so daß sich eine netzartige Struktur bildet. Da mag dann vielleicht schon der Zusammenhang zum Titel liegen, entfalten sich doch symbolhaft die Beziehungsstränge zwischen vielerlei Personen. Die Geschichte geht dann weiter, wie sie weitergehen muß; immer kraftaufwendiger verstrickt sich Marie Kawazu in ihren Schnüren, gibt dazu bisweilen animalische Laute von sich, bis sie schließlich ganz eingewickelt ist, sich dann wieder befreit und, nochmals heiter Sonnenschirm tragend, verschwindet. Leider war dabei von »poetry of action«, wie sie selbst ihre Kunst beschreibt, herzlich wenig zu merken.

Den zweiten Teil des Abends gestaltete Ralf Samen mit seiner Inszenierung Spin 2. Den Begriff »Spin« mit dem Drehbewegungen subatomarer Teilchen beschrieben werden, hat er der Atomphysik entlehnt, wie im Begleitblatt zu lesen ist. Und weiter: Spin 2 bedeutet eine Drehung um 360 Grad. Daß Spins allerdings keineswegs Drehbewegungen beschreiben, sondern vielmehr Erklärungsmodell für anziehende oder abstoßende Kräfte sind — je nach Drehsinn der Teilchen — ist ihm leider entgangen. Daß eine Drehung um 360 Grad letzendlich nichts anderes ist, als ein Auf-der-Stelle-Treten, war obendrein kein gutes Omen für die nachfolgende Performance. Da muß wieder das Dunkel her, zwei Lichtkegel dimmen auf, Rolf Samen und sein Mitspieler Norbert Klassen erscheinen, begeben sich ins fallende Licht, drehen sich simultan um die eigene Achse und alles fällt wieder zurück ins Dunkel. Die Aufführung setzt sich aus einer Serie solcher Lichtblicke zusammen, mal sitzen die beiden am Tisch, mal stehen sie wieder im Kegel, mal beleuchten sie sich gegenseitig mit Taschenlampen.

Schließlich betritt noch ein Dritter die Spielfläche, leuchtet ebenfalls ein wenig mit seiner Taschenlampe umher und bemüht gemeinsam mit Norbert Klassen, jeder in einen Lichtkegel tretend, noch das uralte Clown-Motiv, mehrmals ein gleiches T-Shirt auszuziehen und immer noch ein weiteres, identisches darunter zu tragen. Bezeichnend schließlich, daß da auf Ralf Samens T-Shirt in großen weißen Lettern »soul« geschrieben stand, auf den T-Shirts der anderen beiden »body«. Daß Ralf Samen neben Körper und Seele einfach den Geist vergessen hat, sprach für sich.

Den Abschluß des Abends übernahm der polnische Performance- Künstler Zbigniew Warpechowski. Gekonnt brannte er sich mit Hilfe eines erhitzten Schnapsglases eine ringförmige Wunde auf die Brust. Das Blut fing er mit dem Glas wieder auf und malte damit auf Papier das Wort »body«. Da mußte als zweites Wort dann »Abstraktion« her, für dessen größere Buchstabenzahl er dann doch die Kreide bevorzugte, sich allerdings in monotonem Rhythmus nach jedem Strich mit einem Peitschenschlag auf den nackten Rücken versehend. Nach all den toten Performance-Schweinen und gekreuzigten Hasen keine wesentliche Erneuerung dieser Kunstart.

Der New Yorker Phill Niblock eröffnete den zweiten Abend. Er hat als Filmemacher begonnen, wendete sich aber bereits in den frühen Siebzigern auch der Musik zu. Aus Tonbandaufnahmen traditioneller Instrumente, besonders der Holzblas- Familie, montiert er, nachdem er sämtliche perkussiven Anklang-Geräusche weggeschnitten hat, stationäre, orgelartige Klangbänder, indem er gleiche Töne immer wieder aneinander klebt. Anschließend transponiert er zusätzlich noch die Tonhöhen der Klänge durch Veränderung der Bandabspielgeschwindigkeiten. So entsteht ein Klangbild, als würden mehrere Holzblasinstrumente gleichzeitig ununterbrochene Töne spielen, deren Kombinationen durch den Obertonreichtum der gewählten Klänge in buntesten Farbigkeiten schillern, aber jeglicher musikalischer Dramaturgie entbehren.

Ebenfalls vor zwanzig Jahren begann er seine Musik mit mehreren, simultan laufenden Filmen zu kombinieren. Diese zeigen bevorzugt Naturaufnahmen, diesmal allerdings sind sie an zwei thematische Schwerpunkte gebunden: Da ist einmal die Rhythmik und monotone Wiederholung in menschlichen Arbeitsabläufen und zum zweiten die Veranschaulichung selbiger an leider zu Exotismus verflachenden Bildern aus Afrika und Asien. Die überlaute Musik entwickelt dazu durch ihren völligen Verzicht auf musikalische Dramaturgie größte Suggestivkraft.

Die als Grande Dame der Performance angekündigte Spanierin Esther Ferrer übernahm den zweiten Teil des Abends. Ihre Performance Las Cosas — die Sachen also — war eine Remineszenz an das Prinzip der Reihung, das, in Schönbergs Musik bishin zur arte povera immer wieder auftauchend, bisweilen schon als heimlicher Renner des Jahrhunderts gehandelt wird. Esther Ferrer pendelte zwischen zwei Stühlen und setzte sich selbst jeweils kurz auf einen der beiden und plazierte dort in Wilhelm-Tellscher Manier diverse Sachen auf ihren Kopf, die sie anschließend auf einem Tisch zwischen den Stühlen deponierte. Vom Toilettenpapier über einen kleinen Ventilator, einen leeren Bilderrahmen bis hin zu einem Wecker ist so allerlei dabei, nur der Apfel nicht.

Den Schlußpunkt setze Johan Goedhart mit seiner Klanginstallation Cybernetic Serendipity. Aus Metallsaiten und Blechkübelartigen Resonatoren hat er Klangkörper zusammengebaut, die in origineller Weise durch Fallen von Sand durch Löcher im Boden ebenfalls an den Saiten befestigter Blecheimer zum Schwingen angeregt werden. Das ganze wird elektronisch verstärkt und erzeugt Klanggebilde, die in Statik und Obertonkitzeleien denen von Phil Niblock in nichts nachstehen. Die an den sechs vertikal gespannten Saiten angebrachten sechs Blecheimer erzeugen außerdem optisch recht wirkungsvoll auf dem Fußboden sechs Sandhäuflein.

Ob das Motto des Festivals mit Präsenz des Künstlers glücklich gewählt war, bleibt dahingestellt, wäre es doch vieleicht realistischer gewesen, zumindest diese beiden Abende etwa unter Retrospektive von Performance und sonstiger Zwischenkünste laufen zu lassen.

Wie auch immer: Eine erfreuliche Initiative, etwas derart Seltenes wieder einmal in Berlin zu zeigen. Marc Maier