Auf der Suche nach Identität und Zukunft

■ Eine Diskussion zum Thema »Fremd in der Einheit?« im Potsdamer Forum

Es gibt so Themen, wie zum Beispiel die Liebe, die Männer, die Frauen, das Kino, Hundekacke und Tempo 30 — da sind wir alle kompetent, jeder kann mitreden. Ein solches Thema hatte sich das »Potsdamer Forum«, eine Veranstaltungsreihe der Universität Potsdam und der Pressestiftung Tagesspiegel, für den letzten Sonntag vormittag ausgesucht. Unter dem Titel Fremd in der Einheit? Auf der Suche nach Identität und Zukunft waren der Hallenser Psychotherapeut und begehrte Gesprächspartner für westliche Feuilletons, Hans-Joachim Maaz und der Ökologe und »Gesellschaftskritiker« (was immer das für ein Beruf sein mag), Hans Joachim Rieseberg, ins Schloßtheater im Neuen Palais eingeladen.

Auf prächtigem rotem Samtgestühl, umgeben von goldenen Putten und weißen Stucksäulen, konnte man sich zwar recht schnell und lebhaft vorstellen, wie es damals war, als wir uns noch alle als Prinzen und Prinzessinnen unsere preußische Freizeit vertrieben; den Menuett tanzenden königlichen Balletteusen unter die Röcke linsten, oder mit gröhlendem Amusement einer Commedia dell‘arte Truppe applaudierten — aber die Gedanken an DDR und BRD, an Trabis und Besserwessis, an multipel orgasmusfährige Ost-Frauen und brutale Westunternehmer-Männer, an Arbeitslosigkeit in beiden Deutschlands — das will sich nicht so schnell einstellen.

Genausowenig konnte sich Herr Maaz nach der unendlich langweiligen, mit Plattitüden (»Geschichte ist immer ein Konglomerat aus Siegen und Niederlagen«) gestopften Einführungsrede eines Veranstaltervertreters, sofort auf die »Streitkultur«- Regeln einstellen, daß er nämlich gleich loslegen sollte mit all den Vorurteilen gegen Wessis und der beliebten Ossi-Empörung, was alles furchtbar und gemein ist.

Aber Maaz faßte sich schnell (oder, wie Rieseberg später jovial anerkannte: »Sie haben ja schon einiges vom Westen gelernt«), wußte, was von ihm erwartet wurde und legte dann los mit Statements über die neue Unfähigkeit, die sich ausbreite aufgrund fehlender Macht, Basis und Visionen (aber wer hat das schon, ob im Osten oder Westen?), über die Unwürdigkeit, die mit dem Identitätsverlust für die Ostdeutschen einhergehe (dazu möchte ich meinen Ostdeutsche hassenden ungarischen Freund Gabor zitieren, der behauptet, die Ossis kennten das Wort »Würde« nur im Zusammenhang mit dem Satz: »Würde ich mehr Geld verdienen, wenn...«) — kurz: die Einheit sei ein unglücklicher Prozeß gewesen, eine Revolution habe es damals im Herbst 89 auch nicht gegeben, insgesamt sei alles ein Fehlentwicklung, ob im Osten oder Westen.

Fast sieht es aus, als steigere sich Maaz künstlich in Erregung, die innerlich kaum noch vorhanden sein kann, so oft hat er in den letzten Wochen und Monaten als Experte für die ostdeutsche Seelenkrankheit gesprochen. (Irgendwann muß sich so was professionalisieren und abnutzen.) Und dann sagt er über den Westen, daß hier alles so leistungs- und marktlückenorientiert zuginge, daß man immer Ich-Stärke und auf keinen Fall Unsicherheit zeigen müsse und dürfe —, der Mann hat wohl noch nichts von unsern 27.000 Therapieeinrichtungen für alle diese Fälle gehört — aber egal, es geht ja auch nur darum, den Streit anzuheizen, was aber schwierig ist, weil Maaz letztendlich zu harmoniebedürftig ist.

Er plädiert für Offenheit und Ehrlichkeit zwischen den Deutschen und für die Überwindung der Entfremdung. Jawoll, hört sich okeh an, machen wir. Welcher Unterschied tatsächlich zwischen Ost und West (zumindest unter den Männern) herrscht, wird klar, als dann Herr Rieseberg ans Wort darf. Lässig, jungenhaft, nicht so zögerlich und introvertiert wie sein Hallenser Kontrahent, kommt er gleich mit den überlegenen Geschützen: Keine Vereinigung sei das gewesen, kein Anschluß, sondern lediglich der klammheimliche EG- Beitritt, und der letzte Versuch, in Deutschland noch so etwas wie ein Nationalbewußtsein zu konstituieren — aber damit sei schon 1995 wieder Schluß, weil uns dann auch noch die Demark weggenommen wird... und den wahren Wessis, den Westdeutschen sei das alles sowieso schnurzpiepe, weil die nämlich viel zu weit weg von jedwedem ostdeutschen Kontakt seien. Als er mal ein paar Monate in den neuen Bundesländern weilte, sei es ihm ergangen wie Kafkas Landvermesser im Prozeß (wie war das denn noch mal?), und überhaupt seien die Ostler kleinkariert (dem entgegnete Maaz glücklicherweise hervorrgend mit: »Und die Westler sind großkariert«) und hätten sich die Wessis nur als Buhmänner zur Verschleierung ihrer eigenen Unzulänglichkeiten ausgesucht. »Den Wessi« gebe es, so Rieseberg, sowieso nicht, »wir sind 60 Millionen Menschen und 120 Millionen Individualisten, weil wir nicht in Systemen denken«.

Eigentlich sind ja beide Männer ganz nett, obwohl der Westmann ein bißchen zu eitel-forsch und kokett und der Ostmann ein bißchen zu defensiv und affirmativ traurig wirkt. Das kommt davon, wenn man sich zu Klischee-Aussagen zwingen läßt, die vielleicht im Moment gar nichts mit einem selbst zu tun haben. Für gute Laune und ein bißchen Tempo sorgte aber dann der österreichische (»Wir sind unparteiisch«) Moderator, der ab und zu mal einwarf, daß Mittelmäßigkeit weiß Gott nicht von Ostdeutschen gepachtet, sondern auch überall sonst zu finden sei, und überhaupt kenne er jede Menge Leute, die keine Marktlücke suchten — »Jaja«, eifert Rieseberg, »ich zum Beispiel eile von Mißerfolg zu Mißerfolg« — im Gegensatz zu Maaz, dessen Bücher Verkaufsrenner sind... Aber dann einigte man sich darauf, daß die Wiedervereinigung auf jeden Fall eine Marktlücke für Kohl gewesen sei.

Wirklich schön wurde es aber erst, als das Publikum mitreden konnte — und sich für mich die wahren Qualitäten der ehemaligen DDRler zeigten (denn tatsächlich ist Maaz schon fast der westlichen Diskussions-Raffinesse erlegen): sie können erzählen. Geschichten, die nicht auf Pointen und Statements aus sind, sondern einfach nur erlebte, gedachte, mit unklaren Gefühlen hadernde, oder eindeutige Fragen stellende und auch zornige Ausbrüche zeigende Situationen erzählen. Ein wunderbares menschliches Talent. Und so unabhängig von jeder Himmelsrichtung... Renée Zucker