Erstunken und erlogen-betr.: zu den taz-Artikeln über den Überfall auf das besetzte Haus in der Pfarrstraße 108 am 23.10.91, taz vom 25.10.91

betr.: Zu den taz-Artikeln über den Überfall auf das besetzte Haus in der Pfarrstraße 108 am 23.10.91;

taz v. 25.10.91

Die Artikel »Brandanschläge in Berlin« und »Bis auf weiteres beurlaubt« enthalten zahlreiche Unwahrheiten bzw. verschweigen wichtige Einzelheiten des Überfalls auf die besetzten Häuser, so daß ein völlig falsches Bild der Geschehnisse entstanden ist.

Zuerst einmal gewinnt der Leser den Eindruck, daß die Mitarbeiter des Heinisch-Projekts beurlaubt worden wären, weil das Haus Pfarrstraße 111 durch den Brandanschlag nicht mehr begehbar wäre oder ähnliches.

Das ist falsch.

Richtig ist vielmehr, daß die an dem Überfall auf das besetzte Haus beteiligten Personen samt und sonders dem Heinisch-Projekt angehörten. Heinisch hat sie daraufhin deswegen beurlaubt.

Keinerlei Erwähnung findet die Tatsache, daß besoffene Neonazis aus Wut über den Brandanschlag auf ihr Projekt unter Anwendung von brutaler Gewalt einen ahnungslosen Besetzer niederschlugen, um sich Zugang zum Haus zu verschaffen. Sie zerstörten mehrere Autos auf dem Hof und konnten erst in einer handfesten Schlägerei aus dem Haus gedrängt werden. Daraufhin zündeten sie einen Müllhaufen vor dem Haus an und gossen Benzin unter die Haustür. Hinzukommende Besetzer versuchten daraufhin, die Neonazis (Mitglieder der NA/NO) von der Haustür zu drängen, um den entstandenen Brand zu löschen. Die so verursachte Straßenschlacht wurde also durch den Überfall auf das Haus 108 hervorgerufen. Auch das wird völlig verschwiegen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, daß M. Heinisch selbst und zwei Beamte des Dezernats »Jugendgruppengewalt« in Zivil (unabhängig voneinander, die Beamten waren über Funk hinzugeeilt) das gesamte Geschehen mitverfolgt hatten. Womit gesagt werden soll, daß weder die Polizei noch Heinisch, noch die Besetzer eine unterschiedliche Auffassung vom Hergang des Vorfalls hatten.

Der Überfall war von Heinisch-Leuten provoziert worden, die Besetzer haben darauf reagiert und sich verteidigt. Darin besteht kein Zweifel (Nachfrage erwünscht).

Des weiteren wird in den Artikeln unter anderem behauptet, es gäbe ein von Skinheads besetztes Haus in der Pfarrstraße.

Das ist falsch.

Es ist leider ziemlich müßig, ständig solchen Verdrehungen, Verallgemeinerungen und wilden Spekulationen entgegentreten zu müssen. Jedoch bleibt hier nichts anderes übrig, als den AutorInnen bzw. der taz ein echtes Armutszeugnis hinsichtlich der wahrheitsgetreuen Recherche ausstellen zu müssen.

Es ist mir als Augenzeuge des Geschehens unbegreiflich, wie der/die Autor/in »abc« scheinbar vom Schreibtisch aus die komplexe Situation auf der Straße korrekt wiedergeben will (sofern da überhaupt noch der Anspruch besteht).

Jedenfalls tragen solche Berichte, die zu drei Vierteln erstunken und erlogen sind, wenig dazu bei, die Situation hier einer »Lösung nahezubringen«.

Die Behauptung, es handle sich bei den Häusern in der Pfarrstraße um von »Autonomen« besetzte Häuser, ist außerdem falsch. Hier wohnen alle möglichen Menschen, die von der Wohnungsnot hierher verschlagen wurden. Offensichtlich dient eine derartige Behauptung doch wohl der Vorurteilsbildung, wobei mit »autonom« ja wohl »gewaltbereit« assoziiert wird. Der/die Autor/in »abc« sollte sich mal die Frage stellen, wem er/sie durch solche hanebüchenen Schmierereien gerecht wird... Auf jeden Fall dem Vorwurf, daß die taz allmählich in Richtung hauptstädtisches Revolverblatt absackt. Ein entsetzter (Nicht-mehr-)Leser,

Martin Becker, Pfarrstraße 108, Berlin