Die Instant-Erlösung

Evangelische Sekten drängen weiter massiv auf die Philippinen. Ursprünglich Ableger amerikanischer Fundamentalisten, versuchen sie mehr und mehr Einfluß auf Regierung, Armee und Bevölkerung zu gewinnen. Die religiöse Rechte läßt sich auch nicht durch die weltweite politische Entspannung von ihren Zielen abbringen.  ■ VON SUSANNE HÄRPFER / IMKE RAFAEL

Mittwochs und sonntags zieht es den Colonel ins Stadion. Auch wenn sich die Palmen im Taifun biegen, er steht auf der Zuschauertribüne. Aufgeregt springt er auf und ab, reißt die Arme hoch. Doch kein Fußballteam von Manila versetzt ihn in solche Aufregung, sondern die „Jesus Miracle Crusade“. Sie bringt zweimal wöchentlich Tausende in ihren Bann. Heilung von Krebs, Homosexualität und Kommunismus verspricht diese fundamentalistische Gruppierung aus den USA ihren philippinischen Gefolgsleuten.

So wie die „Jesus Miracle Crusade“ im Amoranto-Stadion von Quezon City, werben mehr und mehr rechte religiöse Gruppen für die Erlösung von allem Übel. Die Sekte Iglesia ni Christo, deren geheime Mitgliederzahl auf drei bis sechs Millionen geschätzt wird, brauchte nur mit einer Demonstration gegen die hohen Benzinpreise zu drohen — schon versprach Aquino im Juli diesen Jahres eine Preissenkung für den folgenden Monat.

Ursprünglich kamen die Fundamentalisten als amerikanische Missionare um die Jahrhundertwende auf die Philippinen. Bei der philippinischen „Securities and Exchange Commission“ sind rund 1.500 Gruppen registriert. Die Mehrheit (88 Prozent) wurde erst nach 1980 gegründet. „Auffällig ist, daß 40 Prozent dieser fundamentalistischen Gruppen erst 1986 auftauchten, im Jahr der Revolution“, stellt Pater Bayani Valenzuela aus Quezon City fest. Ständige Putschversuche, steigende Kriminalität und Armut sowie Naturkatastrophen versetzen die Philippinos in Existenzängste. Sie strömen zu Gruppen wie „Jesus Christ — the Name above every Name“, „Cathedral of Praise“, „Assemblies of God“ oder „Dawn“ (Discipling a whole Nation). In Zeiten großer Unsicherheit bieten sie den Leuten ein Gefühl von Schutz und Sicherheit. Es sind meistens einfache Leute, die es ins Amoranto-Stadion von Quezon City, Metro-Manila, zieht. Trotz Revolution geht es ihnen nicht besser. Bei den Fundamentalisten vergessen sie ihre Sorgen. Ab vier Uhr nachmittags spielt bei derlei Veranstaltungen eine Musikcombo. Auf verpoppte Versionen von When the Saints Are Marchin' in oder This Land is Your Land haben die Crusade-Jünger ihre religiöse Heilsbotschaft gelegt. Sie heizen der Menge ein, bringen sie in Schwung. Der Beginn des nächsten Religionsspektakels. Die Anhänger klatschen im Rhythmus, singen mit, fangen an, zu weinen und zu schreien. Geschickt greift die Religionsregie ein. Kurz bevor alle ausflippen, fahren die Miracle-Musiker die Stimmung wieder runter. Getragene Lieder werden gespielt, Gebete vorgetragen. Inbrünstig verharren die Gläubigen regungslos, die Augen geschlossen.

„Die Fundamentalisten bieten jedem eine sehr persönliche, emotionelle religiöse Erfahrung. Das hat die katholische Kirche ihnen nicht vermittelt“, erzählt Pater Bayani Valenzuela. „Die katholische Arbeit hat wenig Chancen zu überzeugen; es ist nur Massenabfertigung möglich, wo ein Gespräch nötig wäre. Bei den Fundamentalisten wird den Leuten versprochen, daß sie erlöst werden. Sie bezeichnen sich daher selbst als ,born-again‘, nicht als Fundamentalisten.“ Vor zwei Jahren, als die Fundamentalisten besonders viele neue Anhänger gewannen, griffen die katholischen Bischöfe zur Gegenwehr. Sie trafen sich in Tagatay, 60 Kilometer südlich von Manila, um das Phänomen zu analysieren und mögliche Gegenstrategien zu entwerfen.

Ein Beispiel für den enormen Zulauf veröffentlichte die philippinische Journalistin Sheila Coronel im 'Sunday Times Magazine‘: Die Gruppe „Jesus of Lord“ wurde von Ed Villanueva und zwölf Gefolgsleuten 1978 gegründet. Die Recherchen ergaben, daß er 1980 schon 500 Gläubige um sich versammelte, 1983 im Fernsehen zu predigen begann und ihm danach schon 3.000 Menschen folgten. Vor zwei Jahren hatte er bereits 300.000 Anhänger auf den Philippinnen. Im selben Jahr konvertierten nach Angaben des „Philippine Councel of Evangelical Churches“ (PCEC) allein in den ersten drei Monaten rund eine halbe Million Philippinos zu den Fundamentalisten.

Ihre Vorbilder sind Hohepriester der amerikanischen religiösen Rechten in den USA wie Jerry Falwell. Dieser Gründer der „Moral Majority“ besuchte Ex-Diktator Ferdinand Marcos mindestens zweimal in der Zeit seines Sturzes, darauf verweist Reverend Thomas J. Marti vom International Solidarity Network Desk in Manila. Falwell habe Marcos als Hoffnung für Demokratie gelobt, so Marti, und er würde Aktionen unterstützen, die für den Kampf gegen die NPA-Guerilla auf den Philippinen nötig seien. Dies sei sein Armagedon, die letzte Schlacht des Guten gegen das Böse. Sie berufen sich auf die Bibel und behaupten, diese wörtlich zu nehmen, die fundamentalen Grundsätze zu befolgen. Daher der Name, der viele Strömungen zusammenfaßt.

Diesen Fanatismus bekommen besonders Entwicklungshelfer zu spüren. „In ein paar Jahren gibt es hier Bürgerkrieg“, glaubt der deutsche Zivildienstleistende Dominik Sobolewski, der in Bukas Palad mitarbeitet, einem der vielen Slums von Manila, direkt am verseuchten Pasig-River. Dieses Projekt der christlichen Foculare Movement bedeutet übersetzt „Offene Hände“. Auch hier sind schon Fundamentalisten aufgetaucht. „Zunächst singen die mit den Leuten und verteilen Nahrungsmittel“, berichtet Projektleiterin Irene M. de los Angeles. „Dann wiegeln sie die Bewohner gegen vermeintliche Kommunisten auf.“ Ein Netz von Bibelschulen, Forschungszentren, Verlagshäusern, Missionsstationen und Fernsehanstalten helfe ihnen dabei.

„Sehr viele Sekten gehen auch in die Dörfer und machen dort das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe kaputt“, klagt Wirtschaftswissenschaftler Ngô Huy Liem, der solche Entwicklungsprojekte betreut. „Diese Gruppen haben sehr viel Geld, gegen die kommt man nicht an. Ich würde es nicht riskieren, in ein Gebiet zu gehen, in dem bereits Fundamentalisten sind.“ Selbst ihre Namen mag er nicht nennen. Auch die Linguistin Marlies Salazar ist von ihrem Professor gewarnt worden vor der Organisation Summer Institute of Linguistics. Die gingen ebenfalls zunächst aufs Land, um die Sprache zu lernen und begännen dann, die Einwohner zu indoktrinieren.

Bislang wären sie von der amerikanischen Armee versorgt worden, weiß Sheila Coronel. Sie schreibt gerade ein Buch über Fundamentalisten, hat zahlreiche Artikel veröffentlicht über solche Gruppen und deren Verbindungen zu den Todesschwadronen (Vigilantes) wie Alsa Masa und Tadtad sowie zur Armee und rechten Organisationen. Einen ihrer Artikel im 'Manila Chronicle‘ ziert ein Foto, das auch die taz abdruckte: Zwei Männer lachen in die Kamera. Stolz hält der eine sein Zurckerrohrmesser empor. Der andere greift in den Schopf eines Kopfes. Den haben die beiden gerade einem NPA-Mann abgeschlagen. Sie sind Vigilantes, gehören zur Tadtad (Schneide-Schneide), die jeden, der nicht ihr Freund ist, köpft. Sheila Coronel zitiert Jun Pala, einen bekannten Radiomann und Förderer der rechten Todesschwadrone Alsa Masa in Vavao: er würde am liebsten allen Kommunisten und ihren Sympathisanten den Kopf abschlagen und auf dem Marktplatz ausstellen. Kommunisten seien für ihn alle, die nicht Vigilantes sind. Unterstützt würde Tadtad unter anderem von den Fundamentalisten — für Gott und Vaterland.

Auch Adolfo S. Azcunia, Ex- Pressesprecher der sonst so zartbesaiteten Cory Aquino, hält diese Todesschwadrone für „sehr erfolgreich und recht effektiv; besonders in Davao“. Eine weitere der verschlissenen Cory-Sprecher, die Direktorin des Philippine Press Institute, Alice Colet Villadolid, ist nicht zimperlich. Die Armee habe nicht genügend Leute, um die Kommunisten zu bekämpfen. Also sei man auf die Hilfe der Vigilantes angewiesen, verkündet sie. Manchmal arbeiteten die Vigilantes sogar direkt mit der Armee zusammen, behauptet Provincial Commander Jesus Magno von Davao del Sur. „Die Fundamentalisten kämpfen für Gott und gegen Kommunisten. Gegen die kämpfen auch die Militärs“, stellt Pater Bayani Valenzuela lakonisch fest. „Also bilden sie eine natürliche Allianz.“ Mitglied dieser unheiligen Allianz ist die Unification Church des Reverend Sun Myung Moon und deren politischer Arm CAUSA International (Confederation of the Associates for the Unification of the Societies of the Americas). Alle diese Gruppierungen tummeln sich auf den Philippinnen, finden beispielsweise zusammen bei der CAUSA International Konferenz 1987 im Manila-Hotel. Dort, im teuersten Hotel der Stadt, wo sonst unter Kronleuchtern Geschäftsleute angeregt den nächsten Abschluß aushandeln, trafen sich, so schrieb Sheila Coronel, drei Tage lang 250 Teilnehmer — darunter Zuckerbarone, hochrangige Militärvertreter, Universitätsprofessoren, Moonies und antikommunistische Fanatiker wie Jun Pala, der sich offen zum Faschismus bekannte: „Hitler ist mein Modell.“ Nach dem Mango- Mousse sprach Vize-Präsident Salvador Laurel das Grußwort. Seine Frau Celia ist Präsidentin der Moon- Organisation Spiritual Action Movement Foundations (SAMF); dies fand Walter Hatch von der 'Seattle Times‘ heraus.

Auch Ex-Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile hat seine Hände im Spiel. Er ist einer der Sprecher der Alliance for Democracy and Morality (ADAM), die sich landesweit mit antikommunistischer Propaganda hervortut, so das 'Sunday Times Magazine‘. Nach Angaben des „Socio- Pastoral Institute“ seien Präsidentschaftskandidat Fidel Ramos und hochrangige Offiziere der philippinischen Armee regelmäßig bei Treffen dieser Gruppen gewesen. Ebenso wie Colonel Maganto, der wegen Menschenrechtsverletzungen suspendiert wurde, und, wie Sara Diamond, Autorin des Buches Spiritual Warfare, weiß, Ruheständler General Isleta, eine ehemaliger Armeegeneral.

Denn das Programm der Fundamentalisten ist so recht nach dem Geschmack der Militärs. Pochen doch die Krieger Gottes auf die Bibel, zitieren den Brief Paulus an die Römer: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung.“ Diktatoren hören das besonders gern. Viele Philippinen- Promis finden's einfach nur chic, Fundamentalist zu sein. Sie schmettern Weisen und dribbeln Bälle zur Ehre Gottes. Rocksänger Gary Valenciano und Ryan Fantos, Fernsehstar Helen Vela sowie die Basketball- Spieler Abed Guidaben, Georgio Lastimosa und Sam Bay Lim — telegen verkünden sie die Botschaft. Rund 28 TV-Programme der Fundamentalisten flimmern wöchentlich über philippinische Bildschirme. Im 700 Club von Channel7 beispielsweise werben die Teleevangelisten um neue Anhänger.

Aber auch im Radio sind immer häufiger die High-Tech-Priester zu hören, versprechen eine „Instant-Erlösung“, wie Pater Valenzuela kritisiert. „Sie verkaufen ihre Gospel wie Seife und Zahnpasta“, sagt Melba Maggay, Leiterin des Institute for Studies in Asian Church and Culture.

Gefährlich werde es nach Valenzuelas Meinung, wenn noch mehr Einflußreiche die Fundamentalisten finanzierten. Bereits jetzt erhielten sie Unterstützung von einheimischen Millionären und großen Konzernen wie Dow Chemical, Reader's Digest und General Electric.

Alles, was sie wollten, ist die Bekämpfung der Kommunisten und wen sie dafür halten. Dafür bereiten die Fundamentalisten die rechte Stimmung.

Nachdem im Amoranto-Stadion die Anhänger mit Gesängen aufgeputscht sind, schreitet Eddy Celi ans Mikrophon. Früher war Eddy ein NPA-Guerillero. Noch steht er auf der Fahndungsliste, wird jedoch nicht eingekerkert. Ist er doch ein „born-again“. Fanatisch reckt er die Faust und ruft in den Abendhimmel: „Praise the Lord! Fight the Communists!“

Am 3. September 91 erschien unter dem Titel Gott ist der beste Stoßdämpfer ein Text zu fundamentalistischen Kirchen in Nigeria; am 26. August veröffentlichte die taz den ersten Artikel zu fundamentalistischen Kirchen: Blonde Missionare in Guatemala.