Agitprop- Revival

„November 1918/1989 — Revolution in Deutschland“ Ein Theaterprojekt in Düsseldorf  ■ Von Gerhard Preußer

Deutsche Revolutionen bleiben stecken. Das war schon immer so: 1848, 1918, 1989. Deutsche Revolutionäre siegen nie. Als Sieger posieren am Ende immer andere: Bismarck, Ebert, Kohl.

Bismarck mit der Monarchie gegen die Demokraten schafft die Einheit. Ebert mit den Freikorps gegen Spartacus gründet die Republik. Kohl mit den Blockflöten gegen das Neue Forum bringt uns die Wiedervereinigung. Die Initiatoren des Neuen werden mit Hilfe der Verteidiger des Alten ausgeschaltet, und dann werden ihre Ziele in verwässerter Form verwirklicht. So bleibt die Kontinuität des staatlichen Apparates gewahrt.

Das Muster ist nicht neu, und die Erkenntnis, daß die jüngste deutsche Umwälzung ihm ebenso folgt, auch nicht.

Das Düsseldorfer „Theater der Klänge“ präsentiert uns drei Stunden lang die Gleichung 1918 = 1989. Die zurückflutenden Frontsoldaten sind die DDR-Flüchtlinge, der Spartacus-Bund ist das Neue Forum. Und wenn Papa Ebert im Zirkus Busch am 10.November 1918 das Lied der Deutschen anstimmt, hören wir seinen Enkel Kohl krächzen und brummen im Pfeifkonzert vor dem Schöneberger Rathaus am 10.November 1989.

Historische Gleichungen sind immer falsch. 1918 ist nicht gleich 1989, das weiß auch jedes Kind mit angeborener Rechenschwäche. Nicht einmal 1918 : 1919 = 1989 : 1990 ist richtig, wenn man nachrechnet. Das Neue Forum konnte und wollte nicht in aller Unschuld die Organisationsdebatte des Spartacus-Bundes nachspielen, wie uns das „Theater der Klänge“ weismachen will. Historische Parallelisierungen können nur mögliche Entwicklungen vorstellbar machen. Der Preis für den Abbruch der Revolution von 1918 war die Instabilität der Weimarer Republik. Was wird der Preis sein für den Abbruch der Revolution von 1989?

Regisseur Jörg Lensing und seine Truppe haben sich eine bunte Revolutionscollage zusammengestellt. Das Material ist heterogen, die Ordnung antithetisch. Kabarettszenen, Kasperletheater, Ausdruckstanz, Sketche, Pantomine, Tableaus, alles wird eingesetzt, um die historischen Ereignisse der beiden Novembermonate zu dokumentieren und gegenüberzustellen. Die ältere Revolution spielt vorwiegend auf der Königsebene, die jüngere bietet Volksszenen und Rüpelspiel. Ebert und Willem Zwo erscheinen als Halbmasken und Puppen, Honni und Krenz grüßen nur von der Projektionsleinwand herab. Dafür erzählen uns Kanalarbeiter Ede, ein Flüchtling aus der Prager Botschaft, und Lutz, der in Dresden auf den Zug sprang, ihre Geschichte. Edes Erlebnisse im Westen enden im Sexshop und im groben Klamauk. Dazwischen tanzt der Tod seinen schauerlichen Tanz über den Schlachtfeldern von Flandern, und der Runde Tisch in Ost-Berlin wird als artiges Ballett allegorisiert. In der politisch treffendsten Szene boxen die zwei Fraktionen des neuen Forums, die Parteirealisten und die Bewegungsutopisten, gegeneinander. Nach anfänglich heftigem Schlagabtausch über „Partei oder Bewegung?“ bleiben sie in der vierten Runde, in der es um die Frage „Welche Konzepte habt ihr?“ geht, müde und erschöpft in ihrer Ecke sitzen. Deutlich sympathisiert das „Theater der Klänge“ mit dem Neuen Forum, aber deutlich wird auch die Resignation: Ein erneuerter, demokratischer Sozialismus, dafür gibt es heute kein Konzept.

Das Theater der Klänge ist eine freie Gruppe mit außerordentlich hoch entwickeltem Sinn für Stil. Ihnen fehlt das verschwitzte Pathos der anderen freien Gruppen völlig. Sie imitieren jeden Stil so perfekt, als ob sie ihn neu erfänden. So haben diese Studenten und Absolventen der Essener Folkwang-Schule bereits das Theater der Neuen Sachlichkeit (Die mechanische Bauhausbühne nach Kurt Schmidt und Moholy-Nagy), das Barocktheater (Die barocke Maskenbühne nach Gregorio Lambranzi) und das Kitchen-sink-Drama (Die Küche von Arnold Wesker) neu erfunden. Seit dem Bauhaus-Programm hat die Gruppe gute Kontakte nach Dessau. Und so trägt nun das Bauhaus Dessau den größten Anteil an den Kosten dieser aufwendigen Produktion. Diesmal hat das „Theater der Klänge“ das Agitprop-Theater der zwanziger Jahre auferstehen lassen und es mit neuen technischen Medien und raffinierten Geräuschkompositionen angereichert. Wiederum: wunderbar perfekt. Doch dieses Genre hat einen Fehler: Es braucht eine Botschaft, es will belehren.

Den erhobenen Zeigefinger nachmachen war ganz einfach: Ein Ansager verbindet die selbstgeschriebenen Szenen und gibt uns dabei Geschichtsunterricht. Der Vortrag ist methodisch-didaktisch auf dem avanciertesten Stand: Video und Dias, Ton und Klang werden mobilisiert, um die Langeweile zu bekämpfen, die die historische Erzählung verbreitet. Die sozialistische Botschaft des Agitprop zu imitieren gelingt auch. Doch scheint das Engagement eher eine stilistische Notwendigkeit. Im mondänen Düsseldorf wirkt das eher nostalgisch, in Dessau mag es heute schon provokant sein.

Kurz vor Schluß kommt die Nachricht von der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs in eine optimistische Sozialistenrunde. Die Trauer, die dann folgt, ist pathetisch ernst. Die Internationale wird nur noch melancholisch weitergesummt. Beim Schlußapplaus greift die elektroakustische Musik das Thema auf, variiert es, halb traurig, halb heiter. Unwillkürlich summt man mit, und beim Hinausgehen pfeifen viele die Internationale vor sich hin. So ist die Stilkopie komplett.

Theater der Klänge, November 1918/1989. Revolution in Deutschland , Regie: Jörg U. Lensing. Musik: Thomas Neuhaus. Mit Heiko Seidel, Clemente Fernandez. Weitere Aufführungen: 7. bis 10.November Bauhaus Dessau, 15.November Kulturhalle Neukirchen- Vluyn, 15. bis 19.November und 12. bis 16.Januar 1992 Theaterhaus Düsseldorf