Die Risiko-Versicherung

■ Oliver Hardt inszeniert in Frankfurt „White noise, Black beat“

Das jüngste Theaterwerk des Künstlers Oliver Hardt spricht von Übertretungen, von Risiko und der Lust am Bösen. Es zitiert Jean GenetsSeiltänzer als eine Kunst, mit der Kunst unterzugehen. Es zitiert de Sades Aufrichtigkeit, das Böse zu begehren. Es zitiert den lebenden Autor Rene Pollesch, der den Mord in Zeitlupe durcheilt, die Tötung als Leitmotiv ab der Antike aufwärts mit dem Skalpell beschreibt und das Kettensägenmassaker als biblische Geschichte interpretiert.

Hardt will mit Anständigkeit das Theater auf die Bahre des Bösen legen und dabei Genuß fordern. Er will uns seine Lust am riskanten Spiel erklären — und spannt auf die Folter. Er will den Kitzel und erprobt ihn in einer Choreographie, die uns tief entspannt. White noise — Black beat (Weißes Rauschen, Trommelwirbel) ist der Titel seiner Revue oder Collage oder Choreographie, die nichts Böses, Riskantes, Übertretenes hat. Sondern geduldig arbeitet wie ein Versicherungsvertreter, dessen Klient seitenlang das Kleingedruckte mit der Lupe untersucht.

Hardt inszeniert modisch. Der ganze Zauber besteht darin, auf der Bühne ganz entspannt ein Tänzchen, eine Überraschung, einen Effekt zu wagen. Hardts Show ist — wenn auch verhalten — etwas zum Füße ausstrecken, Arme hinterm Kopf verschränken und mit dem Zeh im Takt wippen. Nicht das Schlechteste.

Drei Frauen sitzen hinter drei Glastischen. Sie schminken die Augen, setzen ihre Kontaktlinsen ein (notierte noch in diesem Moment, es solle wohl den Beginn des Sehens „bedeuten“; solche Anfälle legten sich). Die drei Frauen mit je einem Handgranaten-Feuerzeug auf dem Tisch (notierte noch mitverstehend, Gefahr scheint harmlos), drei Frauen kleben sich rote Fingernägel an und tippen auf die Glasplatte. Ein Geräusch ertönt über die Anlage. Sie sprechen und singen über Mikrophon, eine Zeituhr tickt am Anfang und zum Schluß. Das ist die Klammer. Die Komposition ist eine getanzte Schrittfolge, mal auf den drei Glastischen, mal symmetrisch im Raum verteilt — sie macht munter für die Textstrecke zwischendurch. Drei Akte gibt es, die von Songs durchkreuzt werden. Auch sie machen munter.

Nur ist das herzlich geklaut. Der Bühnenboden leuchtet so tintenblau wie das berühmte Blau des Theatermannes Jan Fabre, die Komposition aus Tanz, Text und Song ist typisch für Jan Fabre, nur die Engelsgeduld der drei Frauen (Fabre hat ein paar mehr) ist eingeschworen genug, eigene Autorität zu verstrahlen. Noch beim ungerührten Abzählen von eins bis einundneunzig bleibt es, was Oliver Hardt bei Jan Fabre in einer charismatischeren Version sah: Kolportage. Das mag Prinzip sein, führt aber zum Mißverständnis, Herr Hardt verfüge über keine eigenen Mittel.

Die Tänze: Die rechte erhobene Hand zeigt auf die linke erhobene Hand. Das ist anmutig. Die Texte: Die Rede kommt auf einen lebenden Vorhang. Ein gutes Bild. Die Musik: vortrefflich. Albrecht Kunzes Soundmix treibt die Gäule an. Der Karren, der müde in Schräglage coolen Text ausstößt, wird wieder glatt und dramatisch. Vom Sound aus geraten alle Ideen einleuchtend: Daß eine Frau eine mit Lautsprechern behaftete Metallschärpe trägt, sie selbst schweigt, eine andere durch ihren Körper spricht — solche Einfälle verlangen nach Konsequenz, nach Risiko, nach Übertretung der Andeutung und nach genau der klaren, unrevidierbaren Behauptung, von der Hardts Textauswahl so sehnsüchtig träumt. Arnd Wesemann

Oliver Hardt: White noise, Black beat , mit Petra Bolte, Karoline Sauer, Susanne Strenger. Weitere Vorstellungen auf der Probebühne des TAT Frankfurt: 7. bis 9., 14. bis 16., 21. bis 23. November.