Generalstreik legt Südafrika lahm

Fast alle schwarzen Arbeiter befolgen einen Aufruf des Gewerkschaftsdachverbandes Cosatu zum Generalstreik gegen die neue Mehrwertsteuer/ Auch politische Wünsche werden artikuliert: „Wir fordern, daß die Regierung zurücktritt“  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

„Sehen Sie sich das einmal an!“ Der weiße Café-Besitzer zeigt verärgert auf seine leere Küche. Keine seiner Arbeitskräfte ist da. Nur ein weißer Freund hilft ihm, Toast zu rösten, Eier zu braten, Kaffee zu kochen. „Die Rechnung schicke ich Jay Naidoo!“

Wenn dem Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes Cosatu, unter dessen Leitung der gestern begonnene zweitägige Generalstreik in Südafrika stattfindet, die wirklichen Kosten dieses erfolgreichsten Streiks in der Geschichte des Landes in Rechnung gestellt würden, müßte er mit der Forderung von etwa 2,5 Milliarden Rand (etwa 1,5 Milliarden Mark) rechnen. Denn fast im ganzen Land ist die Produktion lahmgelegt. Millionen von schwarzen Arbeitern sind dem Streikaufruf aus Protest gegen die Einführung einer zehnprozentigen Mehrwertsteuer gefolgt.

Das „Koordinierungskomitee Mehrwertsteuer“ (CCV), in dem neben Cosatu auch der Afrikanische Nationalkongreß (ANC), der Panafrikanistische Kongreß (PAC) und eine Reihe von anderen Gruppen aus dem gesamten Spektrum der Anti- Apartheid-Politik vertreten sind, hat gefordert, daß die am 1. Oktober eingeführte Mehrwertsteuer nicht auf Grundnahrungsmittel, Strom, Wasser, Medikamente und medizinische Versorgung erhoben wird. Die Regierung hat dies unter Hinweis auf die zu erwartenden Verluste im Steuereinkommen abgelehnt.

Aber im Kern geht es um viel mehr als die Steuer. Der Streik ist eine wichtige Machtprobe zwischen Regierung und Opposition. „Auf unserer Seite geht es um die Frage der Interimsregierung; das ist unsere grundlegende Forderung“, sagte Naidoo am Wochenende. Die Opposition glaubt, daß die Regierung vollendete Tatsachen in der Wirtschaft schaffen will, die den Entscheidungsspielraum einer zukünftigen schwarzen Regierung einschränken sollen. Die Einführung der Mehrwertsteuer ohne Konsultation mit der Opposition sei in einer Zeit der Verhandlungen über eine demokratische Zukunft des Landes unvertretbar. Dazu Naidoo: „Wir fordern, daß die Regierung zurücktritt, wir fordern eine Rolle in der Schaffung eines neuen Südafrikas.“

Polizeiminister Hernus Kriel betonte andererseits in einem Interview, daß die Regierung der Cosatu auf keinen Fall ein Mitspracherecht in der Umstrukturierung des Landes geben will. „Es darf keine Gewerkschaften mit einer politischen Stimme geben“, sagte Kriel. „Herr Naidoo sollte sich lieber um die Interessen der Arbeiter kümmern.“

Zwar ist der Streik eine Demonstration der organisierten Stärke der Gewerkschaften und erhöht damit das Gewicht von Cosatu in der politischen Allianz des Verbandes mit dem ANC und der südafrikanischen Kommunistischen Partei. Aber alle Streikunterstützer haben gewarnt, daß der Streik nur der Anfang einer Aktionswelle ist, die bis Ende des Jahres andauern soll.

Der landesweite Erfolg des Streiks — Ausnahmen gab es nur vereinzelt in entlegenen Bergwerken und Betrieben — hat sogar Cosatu überrascht. „Was hier stattgefunden hat, ist eine Volksabstimmung auf der Straße“, sagte Cosatu-Sprecher Neil Coleman am Montag. „Es war eine massive Ablehnung der Versuche der Regierung, die Wirtschaft einseitig umzustrukturieren.“

In den Ballungszentren des Landes waren die Innenstädte am Montag verlassen, Bushaltestellen und Bahnhöfe gespenstisch still. Im Durchschnitt wurde der Streikaufruf von über 80 Prozent aller schwarzen Arbeiter befolgt; in der Region um Johannesburg waren es 100 Prozent. Die meisten kleineren Geschäfte blieben geschlossen, während Kaufhäuser und Supermärkte mit Aushilfen versuchten, einen Service aufrechtzuerhalten.

Spannungen im Vorfeld des Streiks waren gestiegen, nachdem ein Spitzengespräch zwischen Präsident Frederik de Klerk und ANC- Präsident Nelson Mandela am Samstag keine Annäherung brachte. Polizeiminister Kriel hatte zudem gewarnt, daß alle illegalen Versammlungen und Demonstrationen am Streiktag rücksichtslos von der Polizei aufgelöst werden würden.

Am Sonntag starben in einer Goldmine etwa 200 Kilometer südlich von Johannesburg mindestens fünfzehn Arbeiter bei Kämpfen zwischen Unterstützern und Gegnern des Streiks. Und am Montag wurde ein Jugendlicher, der sich an einem ANC-Marsch gegen die Steuer beteiligt hatte, von weißen Werkschutzleuten bei Kapstadt erschossen. In Johannesburg wurde eine kleine Demonstration von der Polizei aufgehalten, zwanzig Beteiligte wurden verhaftet.

Gespannt war die Lage auch in den Wohnheimen für Wanderarbeiter in schwarzen Wohngebieten rund um Johannesburg. Diese waren bisher oft Brennpunkte politischer Gewalt, da sie größtenteils von der Zulu-Organisation Inkatha kontrolliert werden. Inkatha sagte, daß seine Mitglieder dem Streikaufruf nicht folgen würden und „in der Lage sein werden, sich zu verteidigen“, wenn es zu Einschüchterungsversuchen kommen sollte. Einzelne Inkatha-Führer hatten Geschäftsleuten in Johannesburg außerdem angeboten, am Streiktag Zeitarbeiter zur Aufrechterhaltung der Produktion zu vermitteln.