: Die feindlichen Brüder von Hispaniola
Obwohl die Insel überwiegend schwarz ist, betonen die Dominicanos ihre spanische Abstammung gegenüber der afrikanischen Kultur der frankophonen Haitianer ■ Aus Santo Domingo R. Leonhard
Im Büro des haitianischen Botschafters in Santo Domingo hängt unverändert das Porträt des lächelnden Präsidenten Aristide. Für Guy Alexandre ist es gar keine Frage, daß er dem konstitutionellen Staatschef die Treue schuldet. Mit den Putschisten, die am 30. September im Nachbarland die Macht übernahmen, will er nichts zu tun haben. Monsieur Alexandre hat von den insgesamt neun Botschaftern Haitis wahrscheinlich den delikatesten diplomatischen Posten. Denn die beiden Republiken, die sich die Karibikinsel Hispaniola teilen, verbindet eine jahrhundertealte Feindschaft, die durch den Staatsstreich in Haiti neue Nahrung erhalten hat.
Aristide warf nämlich der Regierung und den Drogenhändlern in der Dominikanischen Republik vor, die Putschisten mitfinanziert zu haben. Daß der greise und konservative Joaquin Balaguer für den jungen und populären Aristide wenig Sympathien hat, ist kein Geheimnis. Er fürchtet mit einigem Grund, daß die Massenmobilisierung und der Enthusiasmus, der den Befreiungstheologen an die Macht gespült hat, auf die unzufriedene Bevölkerung seines Landes übergreifen könnte. „Für die Anschuldigung, daß Balaguer hinter dem Staatsstreich steckt, gibt es allerdings keine Beweise“, räumt Guy Alexandre ein.
Die Spannungen zwischen Port- au- Prince und Santo Domingo hatten sich verschärft, als die Dominicanos in den vergangenen drei Monaten über 50.000 Haitianer, die auf den staatlichen Zuckerrohrfeldern arbeiteten, nach Haiti abschoben. Viele davon waren jenseits der Grenze zur Welt gekommen und besitzen daher die dominikanische Staatsbürgerschaft. Zu Hause gibt es für sie weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf. Als bilaterale Lösungsversuche in Santo Domingo auf taube Ohren stießen, trug Aristide den Konflikt an die Weltöffentlichkeit. „Solidarisch mit den benachteiligten Minderheiten, verlangen wir Reparationsleistungen für die dominikanischen Staatsbürger haitianischen Ursprungs wie auch für die Haitianer, die zwangsweise repatriiert wurden“, erklärte er am 25. September in seiner Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. „Nie mehr, nie mehr“, deklamierte er vor der Völkerversammlung, „sollen unsere haitianischen Schwestern und Brüder verkauft werden, um ihr Blut in bitteren Zucker zu verwandeln.“ Der dominikanische Außenminister Jose Aristides Taveras Guzman hielt es daraufhin für notwendig, seine gesamte UNO-Rede als Antwort auf diese Vorwürfe zu formulieren. Den Staatstreich wenige Tage später wollte er nicht verurteilen, „weil eine solche Äußerung als Einmischung in die haitianischen Angelegenheiten interpretiert werden könnte“.
„Ich schäme mich für die Einstellung meiner Landsleute“, gesteht ein ehemaliger Funktionär der dominikanischen Regierung, der überzeugt ist, die Antipathien der Dominicanos gegenüber den Haitianern seien größer als umgekehrt. Obwohl die Bevölkerung beider Länder überwiegend schwarz ist, betonen die Dominicanos ihre spanische Abstammung gegenüber der afrikanischen Kultur der frankophonen Haitianer. In den Pässen der Dominikanischen Republik existiert die Rasse der Schwarzen nicht. Schwarze Dominicanos gelten als „indios negros“, obwohl die Urbevölkerung von den Spaniern fast völlig ausgerottet wurde. Der letzte reinblütige Indio ist vor mehr als hundert Jahren gestorben.
Die Angst vor den schwarzen Nachbarn wird mit den angeblichen Expansionsgelüsten der Haitianer gerechtfertigt. Die rebellischen Sklaven im Westteil der Insel hatten bereits 1804 gegen Napoleons Truppen ihre Unabhängigkeit erkämpft. Als sich dann auch die spanische Kolonie im Jahre 1821 für unabhängig erklärte, ließ der haitianische General Boyer seine Truppen im Ostteil von Hispaniola einmarschieren. 22 Jahre dauerte die Okkupation, bis innenpolitische Probleme und der zunehmende bewaffnete Widerstand die Haitianer zum Rückzug zwangen. Erst nach der zweiten Unabhängigkeit begann sich so etwas wie eine dominikanische Identität zu entwickeln. „Unser Nationalismus ist anti-haitianisch, nicht antiimperialistisch wie im Rest Lateinamerikas“, meint ein Intellektueller in Santo Domingo. Diese anti-haitianischen Gefühle entluden sich 1937 in einem Massaker an rund 20.000 illegalen Einwanderern, das der dominikanische Diktator Trujillo angeordnet hatte.
Auch heute wird mit den Antipathien gegen die Nachbarn Politik gemacht. Der schwarze Oppositionspolitiker Francisco Pena Gómez hat wegen seiner angeblichen haitianischen Abstammung Probleme bei den Wählern. Ein katholischer Sender in Grenznähe, der sich nach dem Putsch für die verfolgte Bevölkerung engagierte, wurde in den Medien angegriffen, sich als Werkzeug des linken Aristide herzugeben. Und Präsident Balaguer, der nolens volens die Resolution der Organisation Amerikanischer Staaten unterschrieb und damit verpflichtet ist, das Handelsembargo mitzumachen, mußte sich von der Opposition als unpatriotisch tadeln lassen. „Wer am meisten unter dem Embargo leidet, sind die Dominicanos“, wetterte der konservative Ex-Präsident Jacobo Majluta. Balaguer wird allerdings für seine firme Haltung durch verstärkte Erdöllieferungen zu Vorzugsbedingungen aus Venezuela belohnt. Ein wahrer Segen für das energiearme Land, wo durchschnittlich 20 Stunden täglich die Stromversorgung zusammenbricht. Wer gleichzeitig vom Handelsembargo profitiert, sind die Schmuggler auf beiden Seiten. Ein Autohändler in Port-au-Prince versicherte kurz nach dem Putsch, das Embargo bereite ihm keine Probleme: „Wir versorgen uns so lange aus der Dominikanischen Republik.“
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