Ein hochinteressanter Wachstumsmarkt

■ Wirtschaftsminister und Industrielobbyisten reisen für „normale Geschäftsbeziehungen“ nach Peking

Berlin/Peking (taz) — Die Menschenrechtssituation in China sollte einer Normalisierung der Geschäftsbeziehungen nicht entgegenstehen, findet Heinrich Weiss, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und gleichzeitig Vorsitzender des Arbeitskreises China der deutschen Wirtschaft. Zu normalen Geschäftsbeziehungen soll ab heute in Peking eine Zusammenkunft des deutsch-chinesischen Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit beitragen — die erste seit dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens im Sommer 1989. Geleitet wird sie von Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP).

Normale Geschäftsbeziehungen — das heißt für die deutsche Seite vor allem die Öffnung „eines der interessantesten Wachstumsmärkte der Welt“ (Weiss) für Exporte aus der Bundesrepublik. Denn mit keinem anderen größeren Handelspartnerland hat die Bundesrepublik ein so großes Außenhandelsdefizit wie mit China. In den Jahren 1985 bis 1990 ist der deutsche Export in die Volksrepublik um 45 Prozent geschrumpft, gleichzeitig stieg die Einfuhr chinesischer Waren um 200 Prozent. Das Defizit im deutschen Chinahandel für das erste Halbjahr 1991 beträgt 4,1 Milliarden Mark. Für die schlechte Geschäftsperspektive der deutschen Industrie hat Weiss am Wochenende in einem Interview mit dem 'Handelsblatt‘ die „überlange politische Bestrafung durch die deutsche Bundesregierung“ verantwortlich gemacht.

Allerdings hatte die Bundesrepublik die Wirtschaftssanktionen nach 1989 strikter eingehalten, als beispielsweise Großbritannien; die Ursachen für den Rückgang der deutschen Exporte liegen jedoch in Peking und nicht in Bonn, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) feststellte. „Die deutschen China- Exporte schneiden im internationalen Vergleich keineswegs besonders schlecht ab“, so das DIW. Seit 1988, und verstärkt nach der Niederschlagung der Protestbewegung, setzte die chinesische Führung auf eine drastische Sparpolitik. Mit Nachfragedrosselung, zusätzlichen Preiskontrollen und Eingriffen bei der Verteilung von Rohstoffen gelang es, den Preisanstieg von 30 Prozent Anfang 1989 auf drei Prozent zu drosseln. Kehrseite der rigorosen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums sind finanzielle Schwierigkeiten der Betriebe (zeitweilig arbeiteten 60 Prozent der Staatsbetriebe mit Verlusten) und Arbeitslosigkeit.

Vor allem im Herbst 1989/Frühjahr 1990 sank die chinesische Industrieproduktion erheblich — weshalb China wesentlich weniger Rohstoffe, Vorleistungen und Vorerzeugnisse im Ausland kaufte. Dem entspricht eine veränderte Struktur im Außenhandel Chinas: Die Volksrepublik konnte ihre Ausfuhren in die westlichen Länder vor allem dadurch steigern, daß es heute zu 80 Prozent Fertigwaren ausführt, während es vor zehn Jahren ganz überwiegend Agrarprodukte und Rohstoffe exportierte.

Die Hoffnung auf gute Geschäfte in der Zukunft nährt sich vor allem daraus, daß China durch die Austeritätspolitik Devisenreserven von 35 Milliarden Dollar aufhäufen konnte — mit denen das Land Maschinen und Technologie in der Bundesrepublik einkaufen könnte. Seit Oktober 1990 gibt es auch wieder Hermes- Bürgschaften der Bundesregierung für China-Exporte, die das unternehmerische Risiko senken. Gute Voraussetzungen also für normale pragmatische Geschäftsbeziehungen, wie sie Weiss bei den Briten lobt. Bleibt zu hoffen, daß die deutschen Besucher in dieser Woche weiter dem Vorbild des britischen Premiers John Major folgen — und in deutlichen Worten die Einführung der Menschenrechte von der chinesischen Regierung fordern. Donata Riedel