: Die Mauerjuristerei stößt auf Schwierigkeiten
■ Neue Tatsachen beim 14. Verhandlungstag im Berliner Gueffroy-Prozeß
Berlin (taz) — Der sogenannte Mauerschützenprozeß in Berlin hat sich am nunmehr 14. Verhandlungstag weiter in den Netzen der deutsch- deutschen Juristerei und der deutsch-deutschen Geschichte verfangen: Zu Beginn des Verhandlungstages hatte das Gericht einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Theodor Seidel abgelehnt. Seidel sei nicht Mitglied einer Fluchthilfeorganisation gewesen, auch dann nicht, wenn er in jungen Jahren schon mal Fluchthilfeorganisationen per Geldspende und Kurierdienst unterstützt hatte.
Anschließend behandelte das Gericht mit routinierter Gelassenheit den Fall des Ex-Stasi-Vize und Zeugen Gerhard Neibe und belegte den General a.D. mit einer Ordnungsstrafe von 500 Mark — unter Berücksichtigung seiner Nettorente von exakt 698,— DM. Wie am letzten Verhandlungstag hatte Neiber erneut jede Aussage mit dem Hinweis verweigert, er werde schweigen, solange er nicht von kompetenter Stelle seiner Schweigepflicht entbunden werde — eine Schweigepflicht, die nach dem Einigungsvertrag möglicherweise fortbesteht.
Für die Angeklagten war aber vor allem dies interessant: Eine Verordnung der Grenztruppen aus dem Jahr 1984 schrieb für die Postenführer vor, den Einsatz der Schußwaffe dann zu befehlen, wenn ein Grenzdurchbruch nicht anders zu verhindern war. Dieser Befehl habe — laut Verteidigung — auch noch 1989 gegolten. Die Staatsanwaltschaft stimmte dieser Auffassung zu und schränkte damit die Möglichkeiten für ihren Strafantrag ein.
Für Überraschung sorgte Andrea Würdinger, Verteidigerin des Angeklagten Heinrich. Nach ihren Informationen ermittelten verschiedene DDR-Organe unmittelbar nach dem tödlichen „Zwischenfall“ neben- und gegeneinander. Demnach starb Gueffroy nicht durch einen direkten Schuß ins Herz, sondern durch einen Querschläger. Diese Ermittlungen waren weder dem Gericht noch der Staatsanwaltschaft bekannt. Daher sollen weitere Stasi-Zeugen vernommen werden. G.A.
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