»Der Faschismus ist unsere Sache«

■ Wie der Kompromiß im Demo-Streit um den 9. November zustande kam/ Wütende Basisgrüppler rechneten mit der AL-Politikerin Hilde Schramm ab/ Die Immigranten wendeten das Blatt und setzten eine gemeinsame Kundgebung durch

Berlin. Hilde Schramm niederzubrüllen, ist nicht schwierig. Die AL- Politikerin wählt ihre Worte vorsichtig, redet leise und werbend. Wenn das der Grund war, daß ihre Partei sie an diesem Montag abend in den Versammlungssaal im Haus der Demokratie entsandt hat, dann wurde Schramm mit einem Himmelfahrtskommando betraut. Denn diejenigen, mit denen sie reden soll, sind nicht bereit, einer grünen Politikerin allzu lange unwidersprochen zuzuhören.

Schramm soll für einen Kompromiß werben, der am 9. November doch noch eine gemeinsame Kundgebung gegen Fremdenhaß und Rassismus ermöglicht. Ihre Gegenüber — Vertreter verschiedener Basisgruppen — mobilisieren seit dem letzten Donnerstag zusammen mit der PDS für eine eigene Demonstration, weil sie sich von der AL nicht ernstgenommen fühlen.

»Die AL-Leute haben den Eindruck, daß ihr manchmal gar nicht richtig zuhört«, warnt Schramm jetzt mit ihrer zarten Stimme und unsicher schweifendem Blick. »Das ist eine Beleidigung!« wird sie prompt niedergebrüllt. »Ich hör' mir das Gesabber nicht mehr an«, schreit ein anderer. »Aufhören!« brüllt ein dritter.

»Wir sind hier nicht in der Kneipe, Genossinnen und Genossen«, mahnt die Versammlungsleiterin, »bitte, unterbrecht die Rednerinnen nicht.« Mit dem Appell hat sie wenig Erfolg, obgleich unter den etwa 100 Menschen im Raum viele einigermaßen nüchtern zu sein scheinen.

Nüchternheit wäre von Vorteil, denn die Streitpunkte sind — so sieht es ein älter Herr im Saal — »sekundärer, wenn nicht tertiärer Natur«. Die Basisgruppen hatten gefordert, nur ausländische Redner zuzulassen, obwohl der mitaufrufende Bundesverband der Ärzte gegen den Atomkrieg bereits Horst-Eberhard Richter als Redner nominiert hatte. Es gebe »keinen vernünftigen Grund«, Richter nicht reden zu lassen, meint Hilde Schramm. Auf der Redeliste seien doch auch »eure Vorschläge mit drauf«.

Einige Basisvertreter wollen die Sache daran nicht mehr scheitern lassen. In der Stadt gebe es nämlich viel »Unverständnis« ob des Streits. Doch die Stimmung im Saal ist eindeutig gegen einen Kompromiß. Um die Fronten zwischen der staatstragenden AL und den radikalen Linken zu klären, plädieren einige ganz kühl denkend für den Bruch — hinter vorgehaltener Hand. Die meisten Redner jedoch sind einfach persönlich verbittert. »Sogar mit der CDU« führe die AL Verhandlungen, klagt ein Mann. Die Leute dagegen, »die die Arbeit vor Ort machen«, würden ausgegrenzt. »Deshalb müssen wir jetzt zeigen, daß die Basisgruppen ihre eigene Politik machen.«

Es sind vor allem die Immigranten selbst, die vor diesem Konfrontationskurs warnen. »Wir sind primär die Betroffenen«, erinnert Doris Nahawandi von der Autonomen Iranischen Frauenbewegung, »und da kommt ihr und redet von euch armen Basisgruppen«. Doch die Iranerin wird ausgebuht: »Es betrifft auch uns!« ruft ein Deutscher. »Der Faschismus ist unsere Sache!«

Erst der Beschluß einer Immigrantengruppe, die getrennt getagt hatte, läßt die Stimmung umkippen. Die Versammlung nimmt den Kompromißvorschlag von SOS Rassismus an, der eine gemeinsame Kundgebung vorsieht, die aus zwei getrennten Redeblöcken bestehen soll — einen für die Basisgruppen, einen für die AL und ihre Partner. Dieses Konzept lehnt die AL eigentlich ab, da ihre Redner dann erst ganz zum Schluß zu Wort kommen würden. Hilde Schramm zögert deshalb. Vergeblich versucht sie, sich mit ihrem Parteivorstand telefonisch rückzukoppeln, windet sich wortreich. Die Versammlungsleiterin schreit sie an: »Es geht um die Frage, ob du den SOS-Vorschlag akzeptierst!« Hilde Schramm unterschreibt. Am nächsten Tag wird der Streit weitergehen. Hans-Martin Tillack