»Wir zusammen verzagen nie!«

■ Das ehemalige »Junge Theater« in Kreuzberg wird als Musiktheater »KAMA« neu eröffnet

Es gehört schon Mut dazu, ausgerechnet jetzt ein Theater zu eröffnen. Wenn ein neues Haus trotzdem eine Chance haben will, muß man eine Marktlücke finden im neuen, unübersichtlichen Theatergewimmel Groß-Berlins. »KAMA« hat eine solche Lücke gefunden. Das ehemalige Junge Theater wird nach Ingrid Kaehlers Totalhavarie als »erstes Berliner musikalisches Privattheater« wiedereröffnet; die erste Premiere findet am 22.11. statt: eine musikalische Bearbeitung des Märchenstoffs Die Schöne und das Tier. Danach, im Februar 92, wird Georgette Dee ihr neues Programm vorstellen; dann spielt und singt die neue Chefin Katja Nottke ein Edith-Piaf-Programm. Nach zwei fast sicheren Rennern eine etwas riskantere Produktion: ein biografisches Camus-Projekt von Leon Boden; dann eine Adaption des wunderbar sentimentalen und amüsanten Filmstoffs Schmetterlinge sind frei (eine junge Frau verliebt sich in einen Blinden — denn spielt der zweite Chef, Claudio Maniscalco); in der darauf folgenden Produktion nach Edgar Allen Poe sollen »Musik, Sprache und Tanz verbunden werden — aber anders als im Musical«. Zum Ende der Spielzeit dann eine Aufführung, die alle Chancen hat, ein Riesenhit zu werden: Victor und Victoria, als Filmstory schon mehrmals ein Renner, bei KAMA gespielt von den beiden neuen Direktoren. Gestern vormittag, beim ersten Pressetermin des neuen Theaters, sangen und spielten sie eine Szene vor: Katja Nottke als »Victoria«, Claudio Maniscalco als der leicht tuntige Manager. »Was schert es uns, was das Morgen bringt, wir zusammen verzagen nie« schmetterten die beiden zweistimmig. Hoffen wir's.

Das KAMA-Theater hat mit seiner ersten Präsentation gezeigt, daß man entschlossen ist, gleich mehrfach Neuland zu betreten: Schon die bloße Idee, in etwa einer halben Stunde Ausschnitte aus Produktionen der kommenden Spielzeit zu zeigen, ist ebenso einleuchtend wie neuartig. Die Lichtanlage war gestern noch nicht fertig, das Bühnenbild konnte natürlich in vielen Fällen nur aus Andeutungen bestehen — aber eine Eigenschaft des neuen Theaters war schon sichtbar: Man setzt hier auf professionelle Schauspielerei, nicht auf Ausstattungsmätzchen oder andere sattsam bekannte Überrumpelungsmanöver. Die neuen Ensemblemitglieder agieren mit offensichtlichem Vergnügen, mit Lust und Fähigkeit zum Zusammenspiel. Claudio Maniscalco — bei seiner Begrüßungsansprache noch vom Lampenfieber geschüttelt wie die Ratte vom Terrier — bewies in seinen beiden Rollen Vielseitigkeit und Genauigkeit; ihn mit Katja Nottke zusammen singen zu hören, ist das pure Vergnügen. Die KAMA-Chefin hat ihre schauspielerischen Qualitäten ja oft genug bewiesen — es sieht so aus, als würde sie in ihrem eigenen Haus Gelegenheit bekommen, unter besserer Regie und mit fähigeren Kollegen zu agieren als zum Beispiel in der »Tribüne« oder der »Vagantenbühne«.

Die zweite Neuerung neben der »Preview«-Veranstaltung: KAMA hat Sponsoren. Die Presse wurde gestern von einem Café mit luxuriösen Schnittchen, Sekt, Saft und Kaffee bewirtet; das gleiche Unternehmen wird auch Premierenfeiern beliefern und dem Theater »dann und wann finanziell unter die Arme greifen«. Eine weitere Firma berät die Theaterleute in Sachen Design, Management und Ausstattung; ein Grafikbüro hat das hübsche Logo entworfen und wird sich um die Fassade kümmern, die jetzt noch im alten Zustand ist. Den Chef des Cafés hat Maniscalco in Los Angeles kennengelernt; Maniscalco erzählte ihm, er werde ein Theater gründen, der Café-Mann hatte Lust, in Berlin etwas Neues zu eröffnen — man beschloß zusammenzuarbeiten. So jedenfalls die vom Theaterchef erzählte Anekdote — und Anekdoten sind im Theaterwesen mindestens soviel wert wie harte Fakten.

Maniscalco und Nottke, beide gut im Geschäft, haben ihre gesamten privaten Ersparnisse ins Theater gesteckt; das Leitungsteam mit fünf Leuten bekommt bescheidene Gehälter, die aber zum Überleben ohne Nebenjobs reichen werden. Natürlich hofft man, weitere Sponsoren zu gewinnen — bei der Professionalität, dem Charme und dem rastlosen Engagement der neuen Leitung sollte das nicht schwerfallen. Noch etwas Einmaliges übrigens hat KAMA zu bieten: Kein anderes Theater wird wohl schon vor der Eröffnung seinen Namen geändert haben. »Karma« hieß es zuerst, aber man fürchtete, zu sehr in die Esoterik-Ecke zu geraten oder gar für ein »Alternativ«-Theater gehalten zu werden. Und das wollen die Neuen auf keinen Fall; bei KAMA sind ausschließlich Profis am Werk. Wenn die ersten Produktionen auch nur halbwegs halten, was die Preview versprach, kann's was Schönes werden. Toi, toi, toi! Klaus Nothnagel