Keine Star-Schmiede fürs Musical

■ Die private, aber staatlich anerkannte »Berliner Schule für Bühnenkunst« zeigt Ergebnisse ihrer Arbeit

Vier Jahre Schauspielausbildung: Was den einen als Horror, tägliche Prostitution und Strapazierung ihres Vermögens oder Unvermögens erscheint, übt eine einzigartige Magie auf jene Hundertschaften von Lernwilligen aus, die keinen Weg im inner- oder außerdeutschen Ausland scheuen, um den Platz an einer Schauspielschule zu ergattern.

Deren Auswahlkriterien scheinen ebenso willkürlich zu sein, wie die Kreisstadtbühne — an der der glückliche Absolvent schließlich einmal landet — dem Wurf des Zufalls folgt. Die erste Crux des Schauspielwilligen liegt in der Aufnahmeprüfung; denn hier wird weniger nach dem bereits angeeigneten Können als nach dessen Entwicklungsfähigkeit, also der »Formbarkeit« der sich bewerbenden Person gefragt. Begriffe, die im alltäglichen Diskurs etwas fragwürdig geworden sind, finden Verwendung: Natürlichkeit im Ausdruck, Offenheit der Entwicklung zum Beispiel — kurz: der Schauspielschüler hat Bürden zu tragen, an die der im Bequemlichkeitsdurchschnitt gebettete Non-Acteur schon gar nicht mehr denkt.

Die »Berliner Schule für Bühnenkunst«, eine der wenigen staatlich anerkannten Privatschulen der Stadt, macht da keine Ausnahme. Indem sie die voneinander getrennten Genres Schauspiel, Tanz und Gesang in der Ausbildung miteinander verbindet, stellt sie besondere Anforderungen an ihre Schüler. Singen, Tanzen und Spielen sollen nicht als quasi äußerliche Techniken erlernt werden; der Lernprozeß wird vielmehr verstanden als Erschließung des jedem innewohnenden künstlerischen Potentials. »Das Studienziel ist die Bühnenreife«, heißt es in einer Informationsbroschüre der Schule; doch ist das Schauspiel in all seinen Facetten »kein Selbstzweck, sondern eine der höchsten Formen menschlichen Ausdrucks«. Für ihr Konzept, sagt die ehemalige HdK-Professorin und Leiterin der Schule, Vera Kamaryt, habe sie — auch hier ganz interdisziplinär — die meisten Anregungen in den Schriften von Beuys gefunden. Jeder Mensch ein Künstler/Schauspieler: für diesen Bildungsprozeß arbeiten zur Zeit 10 Lehrer und Lehrerinnen mit 30 Schülern und Schülerinnen. Wie viele andere wurde auch die Berliner Schule für Bühnenkunst ein Opfer des Post-Wende-Spekulationsbooms. Aus den Räumen in der Bernburger Straße, wo sie 1985 gegründet wurde, vertrieben, fand sie in diesem Jahr ein neues Domizil weit draußen, in Berlin-Adlershof — auf einem ehemaligen Kasernengelände, zwischen Büros und Verwaltungsaußenstellen. Gegenüber, im ehemaligen Stasi-Etablissement, das zum Kulturzentrum »Come In« umfunktioniert ist, zeigten Schüler am vergangenen Wochenende die Ergebnisse ihrer bisherigen Ausbildung. Und die ist, wie der Abend eindrucksvoll zeigte, äußerst vielseitig.

Auf dem Programm standen sowohl Monologe aus Dramen von Sophokles, Shakespeare und Müller als auch Lieder von Carl Orff bis Hanns Eisler — und moderne Ballettnummern, die zum Teil von den Schülern selbst choreografiert wurden. Das Vorurteil, eine Schule dieser Art müsse wohl eine Star-Schmiede fürs Musical sein, wurde gründlich außer Kraft gesetzt. Das Schülerensemble kann sowohl die wunderbar verführerische, in sich ruhende Umsetzung von Duke Ellingtons Satin Doll wie die Interpretation eines Songs der ersten und einzigen schwarzen Hardrock-Band »Living Colour« tanzen.

Obwohl sich die Ausbildung eher an modernen Formen wie der Assoziations- und Verlangsamungsmaschine Robert Wilsons oder dem Tanztheater Pina Bauschs orientiert, kamen relativ viele klassische Monologe zur Darstellung. Ihre Qualität war recht unterschiedlich: Esther Böll verkörperte die Marie in Kroetz' Maria Magdalena auf derart natürlich-gekonnte Weise, daß man sie bald in einem gutbezahlten Staatstheaterjob sehen möchte. Das gleiche sei Holger Asmuß gewünscht, dessen komödiantische Gestik suggerierte, daß Shakespeare Was ihr wollt in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts geschrieben habe. Und in der Rolle der Dascha in Heiner Müllers Zement, die ihrem Mann ihre zahlreichen Seitensprünge gesteht, produzierte Karin Schubert eine geradezu verwirrende Sinnlichkeit. Am deutlichsten wurde die Theater-Ästhetik, der die Schule für Bühnenkunst und ihre Leiterin sich verschrieben haben, in einer Art absurdem Ballett: Die Lehre vom Körper. Aussagen über den menschlichen Körper, seine Masse, seine Bewegung; über seine Fragilität gegenüber der Schwerkraft — Aussagen also, die gerade durch ihre strenge Logizität an die Grenze des Grotesken führen.

Am 30. November findet die nächste Aufnahmeprüfung der Schule statt — gefordert werden »ein Rollenausschnitt, der Vortrag eines Gedichtes und eines Liedes«. Ferner sind lockere Bekleidung erwünscht sowie »Kraft, Wille und Mut«. Bernd Gammlin

Berliner Schule für Bühnenkunst, 1199 Berlin-Adlershof, Rudower Chaussee 16-25, Haus 6, Tel.: (9) 6775105