Wohnopoly mit besetzten Fertighäusern

■ Erstmals organisierten sich Wohnungslose zu einer Initiative/ Die Besetzung leerer, aber beheizter Gebäude am Ostberliner Hegelplatz war von Erfolg gekrönt/ Wenn die Bauaufsicht heute zustimmt, dürfen die Akteure bleiben

Berlin. Daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht in der Lage ist, all ihre Menschen zu ernähren, zu kleiden und ausreichend unterzubringen, das wußte Georg Wilhelm Friedrich Hegel schon vor 200 Jahren. Geändert hat die damalige Erkenntnis nichts. Unter den steinernen Augen des Philosophen nahmen Betroffene deshalb gestern auf dem Ostberliner Hegelplatz das Heft selbst in die Hand. Um »den Winter zu überleben« besetzten weit über 100 Obdachlose als »1. Berliner Wohnungsoffensive« sechs doppelstöckige Fertigbauten.

Was sie vorfanden, ließ die Herzen der Akteure höher schlagen. Während draußen ein kalter Novemberwind um die Ecken pfiff, herrschte in den Räumen des zweistöckigen Gebäudes Wärme. Obwohl die Container bereits seit Monaten leerstehen, werden sie nach wie vor beheizt — von der anliegenden Humboldt-Universität, die die Räume zwar nicht nutzt, aber mietet. In zwei der sechs Gebäude funktionieren Strom und Licht, und eine frisch angebrochene Flasche Duschgel beweist, daß auch die Duschen noch ihren Dienst versehen.

Rund 7.500 Obdachlose sind in Berlin registriert, die Dunkelziffer liegt weit darüber. Bereits im letzten Winter sprach das Diakonische Werk von etwa 20.000 Wohnungslosen in der Stadt. Viele müssen auf der Straße schlafen, betteln gehen oder von Suppenküchen leben. Unterkünfte sind knapp und zudem meist in desolatem Zustand. Jahr für Jahr werden im Winter zwar neue Behelfsunterkünfte geschaffen, eine langfristige Perspektive bieten sie jedoch nicht.

»Deshalb müssen wir jetzt selbst was unternehmen«, meinte gestern einer der Obdachlosen gegenüber der taz. Die Akteure hatten sich auf die Besetzung gut vorbereitet. Auf einem Holzkohlegrill brutzelten Würstchen. Kaffee und Stullen wurden herumgereicht. Wer fror, konnte sich beim »Wohnopoly«-Spiel aufwärmen und vom Läusepension- Feld zur Wärmestube hüpfen — eine Idee des Vereins »Unter Druck. Kultur von der Straße«, den Berliner Obdachlose bereits im September gründeten. Dieser bislang einmalige Zusammenschluß, der aus einem Obdachlosen-Theaterprojekt entstanden ist, will Unterstützung bei der Beschaffung von Wohnraum und bei persönlichen Krisen bieten.

Die Besetzung selbst wird vermutlich Erfolg haben. Der Eigentümer der Bauten, die Baudirektion GmbH versicherte gestern, die Gebäude nicht räumen zu lassen. Allerdings müßten sie bis Jahresende abgerissen werden, da am Hegelplatz eine Grünanlage entstehen soll. Die zuständige Baustadträtin erklärte jedoch gestern, bis Ende März nächsten Jahres auf Baumaßnahmen verzichten zu wollen. Jetzt muß nur noch die Bauaufsicht zustimmen, eine Begehung ist für heute früh geplant. Dann haben die ersten rund 40 Leute dort bereits übernachtet.

»Soviel auf einmal haben sich noch nie an so einer Aktion beteiligt«, so Michael Haberkorn, Mitarbeiter des Diakonischen Werks gegenüber der taz, »da rührt sich was.« Doch auch wenn die neuen Bewohner bereits von einer Wärmestube, einer Rechts- und Suchtberatung sowie sozialer und medizinischer Betreuung träumen — eine endgültige Lösung des Wohnungsproblems, warnt Haberkorn, böten die »dünnwandigen und provisorischen Gebäude« nicht. maz