Phantasie gefragt

Leipziger Hochschultage für Medien und Kommunikation zeigten Perspektive für universitäre Journalistenausbildung  ■ Von Nana Brink

Das „rote Kloster“ wird säkularisiert: Die älteste hochschulinterne Ausbildungsstätte für JournalistInnen in Deutschland, die zuletzt als Kaderschmiede für staatskonformen Verlautbarungsjournalismus bekannte Sektion Journalistik an der Leipziger Universität, erinnert sich an ihre bürgerlichen Ursprünge. Jene liegen 75 Jahre zurück: 1916 gründete der Nationalökonom Karl Bücher in Leipzig das erste „Institut für Zeitungskunde“ und legte damit den Grundstein für eine akademische Ausbildung. Bekannte Namen, wie zum Beispiel der spätere konservative Medienwissenschaftler Emil Dovivat, der bei Bücher über „Die öffentliche Meinung in Sachsen 1840“ promovierte, finden sich in dem von den Nazis gleichgeschalteten Institut. Auf der Suche nach Gründungsvätern und „einer neuen Profilierung“ der im Aufbau befindlichen Fakultät für Medien- und Kommunikationswissenschaften besann man sich rückwärts auf das „großartige Erbe“, so Sachsens Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (CDU) bei der Eröffnung der ersten Leipziger Hochschultage für Medien und Kommunikation. Das Erbe des unverhofft zu Ehren gekommenen Traditionsstifters Bücher beschrieb Gründungsdekan, Prof. Karl Friedrich Reimers, mit dessen ehernen Grundsätzen für ein journalistisches Handwerk: historische Ausbildung plus empirisches Wissen.

Reimers, Initiator der Hochschultage, auf denen rund 500 Teilnehmer in Arbeitskreisen über verschiedene Aspekte der Medienwissenschaften diskutierten, nutzte die bescheidene Öffentlichkeit, um sein Konzept für die Neugestaltung des Bereichs Journalistik darzulegen. Unter Legitimitätsdruck stehend, hob er die krisenhafte Entwicklung der akademischen Journalistenausbildung in den alten Bundesländern hervor. In München oder in Hamburg würden zwar Detailfragen auf höchstem Niveau bearbeitet — eine „Vereinsamung der Teildisziplin Kommunikationswissenschaft“ — der Gesamtüberblick jedoch ginge verloren.

Die Chance der Journalistikausbildung in Leipzig sieht Reimers in einem medienwissenschaftlichen Studium generale, das interdisziplinär historisches (dazu zählen für ihn auch politologische, germanistische, wie theologische Aspekte) Wissen mit empirischen Studien (Statistik etc.) und praktischer Anwendung verknüpfe. Die Akzeptanz für jene Neuorientierung, so der aus München stammende Medienwissenschaftler, sei beim Bund und dem Land Sachsen „enorm groß“; immer noch zehre Leipzig vom Mythos der Wendezeit und präsentiere sich u.a. mit der Ansiedlung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) als künftige „Medienstadt“. „In toto versagt“ hätte allerdings die eigene Zunft: Die Mißgunst anderer Institute zeige nur die „Kriegsspiele um Haushaltstöpfe“; von der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften sei bislang „null Unterstützung“ gekommen, beklagte sich der Gründungsdekan Reimers. Hier zeige sich der „Mangel an historischem Bewußtsein und an sensiblem Umgang mit den Befindlichkeiten in den neuen Bundesländern“.

Daß besagter Mangel sich einer gewissen Methode erfreut, zeigte die einzige hochkarätig besetzte Diskussionsveranstaltung der sonst eher intern wirkenden Hochschultage. Unter dem Motto „Perspektive 2000 — Rundfunk im Freistaat Sachsen — die Medienstadt Leipzig als Hauptsitz der Dreiländeranstalt ,Mitteldeutscher Rundfunk‘“ versammelten sich die westdeutschen Protagonisten jener neuen Medienperspektive auf dem Podium: Udo Reiter, Intendant des MDR, Dietrich Schwarzkopf, Programmdirektor ARD, Peter Glotz, SPD-Bundestagsabgeordneter. Geladen waren zudem noch zwei ostdeutsche Mitglieder des Rundfunkbeirates, Kirchenrat Horst Greim und Gerhard Pötzsch.

Letztere beiden schlugen das Generalthema an: die sowohl westliche wie konservative Besetzung der Direktorenposten beim MDR. Ihre Kritik wurde weitgehend als „rückwärtsgewandt“ angesehen. „Sicher, die SPD kritisiert das natürlich auch“, so Peter Glotz, aber das Kind sei nun mal in den Brunnen gefallen, und jetzt müsse man eben „einfach guten Rundfunk für die Menschen hier machen“. Schließlich: „Wir sind doch mit dem naiven Empfinden, man könne uns hier brauchen, gekommen“, erinnerte Reiter. Die Frage, aufgeworfen von Moderator Prof. Reimers, ob der mangelnde Einfluß der Revolutionäre von einst nicht etwas mit deren „kulturell bestimmter Bescheidenheit“ — „wir Wessis sind doch da schon auf Macht konditioniert“ — zu tun habe, beantwortete Schwarzkopf schlicht pragmatisch: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.“ Die Diskussion um das regionale Konzept einer Dreiländeranstalt erschöpfte sich naturgemäß in Absichtserklärungen. Beim Hinweis auf regionale Besonderheiten, denn „die Thüringer wollen nicht sächsisch geweckt werden“, so Greim, spielte Reiter die „Karte der Zukunft“ aus: Man begnüge sich nicht mit einem Kessel Buntes, sondern setze auf die bereits 200 festangestellten Mitarbeiter aus den alten Anstalten. Konkrete Sendeplätze konnte er nicht benennen. Immerhin, die Regionalität sei durch die „sehr föderale Struktur“ des MDR gegeben, da man sowohl in Dresden, wie in Leipzig und dem „Vorort von Leipzig“, Halle, mit Studios und Verwaltung präsent sei.

Von Reimers aufgefordert, den Journalistik-Studenten der neuen Fakultät aufmunternde Worte zu spenden, versicherte Reiter, der MDR stehe hauptsächlich den Studenten aus den drei Ländern offen. Und, was die Jungen Leute bräuchten, sei Phantasie. Wie jene aussehen kann, demonstrierte Reiter eingangs an der eigenen Vita: Als Germanistik-Student und Ex-Pilot bei der Lufthansa habe er sich nach einem Unfall umorientieren müssen und sei dorthin gegangen, „wo man im Sitzen auch weiterkommt, nämlich zum Bayerischen Rundfunk“.