Ohne Vision und Maßstab

■ Das Ultimatium der EG gegenüber Serbien ist verwässert worden

Ohne Vision und Maßstab Das Ultimatium der EG gegenüber Serbien ist verwässert worden

Langsam ist zu fragen, warum es den Verantwortlichen der Europäischen Gemeinschaft im serbisch-kroatischen Krieg so schwer fällt, eine für die Befriedung konstruktive Rolle zu spielen. Die von Lord Carrington vor knapp zwei Wochen vorgeschlagene Anerkennung aller Republiken des ehemaligen Jugoslawiens schien den Weg zu weisen, in einen ernsthaften Verhandlungsprozeß eintreten zu können. Lord Carringtons Zurückweichen vor den Protesten des (serbischen) Staatspräsidiums drückt aber immer noch die Zweideutigkeit der Brüsseler Politik aus, die an der Fiktion eines jugoslawischen Staates festhält. Statt endlich zuzugeben, daß es nach diesem Krieg ein einheitliches Jugoslawien nicht mehr geben kann, wurde Belgrad nach dessen Protest sogar die Formierung eines neuen Gesamtjugoslawien über eine Zollunion hinaus konzidiert. Das ist für Kroatien und Slowenien selbstredend völlig unakzeptabel.

Diese Art der Appeasementpolitik ist schon jetzt gescheitert, die wütenden militärischen Angriffe beweisen es. Sicherlich, das der EG zur Verfügung stehende Instrumentarium, gegen die Aggressoren vorzugehen, ist nicht gerade imposant. Das Argument jedoch, Wirtschaftsboykotte nützten kaum etwas, kommt wie schon beim Golfkrieg zu schnell über die Lippen mancher Politiker und Kommentatoren. Warum zum Teufel muß denn jetzt der Weltsicherheitsrat bemüht werden, wenn es doch nur darum geht, die griechischen Öllieferungen an Serbien und damit an die „jugoslawische Volksarmee“ zu unterbinden? Wenn dies ab sofort geschähe, würde die Offensivkraft der Armee bald empfindlich gestört, zumal die serbischen und montenegrinischen Reservisten nicht gerade vor Kampfbereitschaft strotzen — über die Hälfte entziehen sich der Einberufung. Daß in Serbien darüber hinaus auch im politischen Raum etwas in Bewegung kommt, zeigt die Haltung der Demokratischen Partei Serbiens, die jetzt den ursprünglichen Gedanken des EG-Vorschlags aufgriff und für die Anerkennung aller Republiken votiert, wenn die Serben in Kroatien einen gesonderten Status erhalten.

Angesichts der Offensive der Armee und der damit verbundenen Grausamkeiten ist es schwierig, den rationellen Kern in der serbischen Politik zu akzeptieren. Doch ist es keineswegs abwegig, von serbischer Seite den Schutz seiner Minderheiten vor der Willkür der Machthaber in den neuen Staaten zu verlangen. Dies trifft umgekehrt aber auch für die Nichtserben in Serbien zu. Im Gegenzug müßten die Albaner im Kosovo, die Ungarn der Wojwodina oder die Muslime im Sandschak zu ähnlichen Rechten kommen. Anstatt die Widersprüchlichkeit der serbischen Politik offenzulegen und für die Vision einer „gerechten“ Lösung offensiv einzutreten, hat die EG jedoch die serbische Politik im Prinzip anerkannt. Ein Zeichen für die Anfälligkeit gegenüber Lobbyismus ist zudem die Tatsache, daß nun die kleine Gruppe der Italiener aus Istrien am Verhandlungstisch Platz nehmen darf, die Albaner und die Ungarn hingegen nicht. Dies dient wahrhaftig nicht dazu, einen Maßstab für Verhandlungen zu entwickeln, der für alle Konfliktparteien gleichermaßen gilt. Ohne einen solchen aber sind sie sinnlos. Erich Rathfelder