Tapferes Vietnam, wackeres China

■ Vietnams KP-Chef Do Muoi und Regierungschef Vo Van Kiet trafen ihre Amtskollegen in Peking/ „Vollständige Normalisierung“ und Wirtschaftsverträge angestrebt/ Hanoier Reisediplomatie

Peking/Bangkok (dpa/taz) — Mit einem „kleinen“ Gipfeltreffen wollen China und Vietnam ihre Aussöhnung und die Normalisierung ihrer Beziehungen besiegeln. Aus den mehr als ein Jahrzehnt lang miteinander verfeindeten kommunistischen Ländern und Kriegsgegnern werden wieder „Freunde“ und „gute Nachbarn“, Händler sollen die Soldaten an der entspannten Grenze ersetzen. Vietnams KP-Chef Do Muoi und Premier Vo Van Kiet trafen gestern in Peking ein, wo sie mit Chinas KP- Chef Jiang Zemin sowie Ministerpräsident Li Peng zusammentreffen.

Beide Seiten hatten sich in den vergangenen Monaten im Zuge der Lösung des Kambodscha-Konflikts einander wieder angenähert. Mit dem Pariser Friedensvertrag für Kambodscha, der ohne sino-vietnamesische Arrangements nicht hätte realisiert werden können, wurde eine neue Seite auch in den bilateralen Beziehungen aufgeschlagen, nachdem Peking und Hanoi in Kambodscha zuvor einen Stellvertreterkrieg führten.

Der Kollaps des Kommunismus in Osteuropa und schließlich in Moskau hat die beiden größten kommunistischen Staaten Asiens noch rascher zusammengeführt. Vietnam ist nach dem Versiegen sowjetischer Hilfe bemüht, sich nach anderen Seiten zu „öffnen“, und in Peking stehen Genossen bereit, die ideologisch auf der gleichen Linie liegen.

Während des bis Samstag dauernden Besuches werden beide Seiten voraussichtlich Vereinbarungen über den Ausbau der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie über die Wiederaufnahme von Verkehrsverbindungen unterzeichnen. Bereits vor dem Gipfel stieg der Grenzhandel schwunghaft an. Die während des Grenzkriegs zerstörte Eisenbahnstrecke am alten „Freundschaftspaß“ wird bereits instandgesetzt. China erhofft sich dabei auch positive Auswirkungen für die an Vietnam grenzende Provinz Yunnan und einen Zugang zum vietnamesischen Hafen Haiphong. Der alte Streit um das Besitzrecht an den Spratley-Inseln im Südchinesischen Meer wird vorerst zur Seite gestellt.

Mit einiger Sorge dürfte die sino- vietnamesische Umarmung in den Ländern Südostasiens gesehen werden, die im Staatenverband Asean zusammengeschlossen sind. Dort bestand schon immer Furcht vor hegemonialen Bestrebungen der beiden regional stärksten Militärmächte. Doch die Führung in Hanoi sucht wie ihre chinesischen Nachbarn ihre ideologische Linie nach innen zu retten und zugleich aus der außenpolitischen Isolierung herauszutreten, was vor allem heißt, mit den kapitalistischen Nachbarn ins Geschäft zu kommen. Vor dem Pekinger Gipfel unternahm Vo Van Kiet Ende Oktober — als erster vietnamesischer Premier seit 1978, als vietnamesische Truppen in Kambodscha einmarschierten — noch Abstecher nach Thailand, Indonesien und Singapur. Dort betonte er den Wunsch Hanois, in einem friedlichen Umfeld enger mit den Asean-Ländern zusammenzuarbeiten.

Bei seiner Visite in Südostasien hatte Van Kiet vor allem eine Verstärkung der Wirtschaftsbeziehungen gesucht. Angesichts der desolaten Lage der vietnamesischen Ökonomie war Van Kiet dabei sogar soweit gegangen, Thailands Wirtschaft als Modell zu bezeichnen, von dem Vietnam lernen könnte. Noch in diesem Monat werden auch Gespräche zwischen Regierungsvertretern aus Hanoi und Washington erwartet, die eine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern einleiten sollen. sh