Der Osten unterm Klingbeil

Eine Berliner Immobilienfirma mit Vergangenheit erobert seit dem Mauerfall die ehemalige DDR. Von der Wartburg bis Rügen, von Mitropa bis zum Taxifunk macht die Klingbeil-Gruppe erfolgreiche Geschäfte. Und die Unterstützung von roten Socken und alten Bekannten funktioniert reibungslos.  ■ VON EVA SCHWEITZER

Der Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes Berlin- Mitte ist ein wenig verlegen. „Wir wissen oft auch nicht, ob Klingbeil hinter einem Bauantrag steckt, das ist für uns ein schwer zu durchschauendes Firmengeflecht“, sagt er halb entschuldigend. Aber wissen würde er es gerne. Denn die Klingbeil-Gruppe, Berlins bekannteste Immobilienfirma, erobert seit der Maueröffnung die ehemalige DDR: von der Wartburg bis Rügen, von Mitropa bis zum Taxifunk, vom Golfplatz bis zum Hotelneubau.

Der gebürtige Stettiner Karsten Klingbeil gründete 1966 in West- Berlin die Klingbeil Stadtsanierung GmbH, wenig später die Klingbeil Wohnbauten GmbH. Heute ist die Klingbeil-Gruppe eines der größten Bauunternehmen Berlins, bestehend aus etwa 200 Firmen, die fast alle in der Schöneberger Kleiststraße 3-6 residieren. Die Klingbeil-Gruppe beschäftigt sich mit Sanierung und Grundstücksverwaltung, mit Technologietransfer, Finanzberatung und Kunsthandel. Sie hat riesige Hotels in Frankfurt und München gebaut, Ferienhäuser in Spanien hochgezogen und plant in Hamburg ein 350-Millionen-Hotel auf der Fleetinsel. Selbst Anteile des Berliner Radiosenders 100,6 — nicht zuletzt deswegen als „Betonfunk“ geschmäht — gehören den derzeitigen Geschäftsführern der Klingbeil- Gruppe, Klaus Groenke und Axel Guttmann. Und schließlich investierte Guttmann sogar 12.500 Mark in den Neubau der taz — aus Hilfsbereitschaft, wie er sagt.

Der 66jährige Karsten Klingbeil selbst hat vor sechs Jahren die Firma verlassen und lebt nur noch für seine Bildhauerei. In seinem lichtdurchfluteten Atelier im Berliner Bohème- Bezirk Charlottenburg hängt — neben seinen Bronzeplastiken nackter Mädchen — das Foto einer von ihm modellierten Stalinbüste, die er während seiner Kriegsgefangenschaft schuf. Seine Nachfolger Groenke und Guttmann, zwei dynamische Mittvierziger, legen Wert auf den guten Ruf der Firma. „Überall werden wir als Spekulanten beschimpft, dabei sind wir ein Dienstleistungsbetrieb wie ein Bäcker auch“, klagt der eher hemdsärmelige Guttmann, und: „Unsere 300 Mitarbeiter trauen sich oft gar nicht zu sagen, daß sie bei Klingbeil arbeiten, das ist doch nicht gut für die Motivation.“

Eine Firma mit Vergangenheit

Daß der Firma seit Jahren ein gewisser Ruf anhaftet, ist jedoch nicht ganz grundlos. Das erste Mal in die Schlagzeilen geriet Klingbeil 1972, als die Firma den lukrativen Zuschlag für den Bau des riesigen Sheraton-Hotels am Frankfurter Flughafen bekam, und zwar von Rudi Arndt (SPD), Frankfurts Oberbürgermeister, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen-AG. Die Hessische Landesbank, bei der Rudi Arndt im Verwaltungsrat saß, sagte Klingbeil einen Kredit von 84 Millionen Mark zu. Wenige Wochen später traf bei Arndt ein Geldbote ein und brachte in mehreren Raten eine Parteispende von über einer Millionen Mark für die SPD. Der Absender war Karsten Klingbeil, wie die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelte. Sie stellte aber dann doch keinen direkten Zusammenhang zwischen der Parteispende und dem Zuschlag für das Hotel fest — das Verfahren wurde eingestellt.

Auch der damalige Landesvorsitzende der Berliner CDU, Peter Lorenz, bekam eine Klingbeil-Spende von 10.000 Mark. Bis heute gehen jährlich zehntausende von Mark von der Klingbeil-Gruppe an die Parteikasse der Berliner CDU. „Ich bin Mitglied der CDU, ich halte die CDU für eine wichtige politische Kraft, warum soll ich ihr nicht spenden?“ sagt Axel Guttmann dazu. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Firma habe dies nichts zu tun, versichert er treuherzig. „Wir sind deshalb erfolgreich, weil mein Partner Klaus Groenke und ich extrem ehrgeizig und erfolgssüchtig sind.“ Die Affinität zur CDU ging immerhin so weit, daß die Firma 1989 den ehemaligen Staatssekretär für den Berliner Verfassungsschutz, den Scharfmacher Wolfgang Müllenbrock als Geschäftsführer einkaufte.

Zurück in die siebziger Jahre. Um diese Zeit hatte die aufstrebende Firma bereits etwa 5.000 Wohnungen in West-Berlin gebaut, fast alle mit öffentlichen Geldern. Gut im Geschäft war die Firma vor allem im Arbeiterbezirk Wedding, wo Klingbeil mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo reibungsfrei kooperierte. Das funktionierte so: Die DeGeWo vergab eine Reihe ihrer alten Häuser an Klingbeil. Der ließ diese abreißen, gründete Abschreibungsgesellschaften und errichtete dann mit deren Hilfe Neubauten, natürlich mit öffentlichen Mitteln. Die neuen Wohnungen verpachtete Klingbeil wieder an die DeGeWo. Den Namen des DeGeWo- Direktors sollte man sich merken: Klaus Franke.

Klaus Franke nämlich wurde einige Jahre später Bausenator für die CDU in West-Berlin. Es folgte eine blühende Zeit für die Klingbeil- Gruppe, auf die nur Mitte der achtziger Jahre kurzfristig ein Schatten fiel, als der Berliner Bau- und Bestechungsskandal aufflog. Die Kripo überprüfte auch die Konten des Senators Franke und stellte dabei fest, daß er mehrere hunderttausend Mark in bar „unklarer Herkunft“ auf sein Konto eingezahlt hatte. Franke mußte zurücktreten.

Fünf Jahre später. Die Mauer war offen, West-Immobilisten begannen voller Eifer, sich auf die Grundstücke und Häuser der Republik zu stürzen, und ganz vorne dabei war natürlich die Klingbeil-Gruppe. „Unser Stil ist es, rasch eine Vielzahl von Projekten anzuschieben, davon werden vielleicht zwei oder drei etwas, der Rest war dann leider für den Papierkorb“, erläutert Guttmann die Philosophie seiner Firma. Im Anschieben war die Firmengruppe bis heute recht erfolgreich. Zu den genehmigten Projekten gehört ein Supermarkt in Bernau, Sozialwohnungen in Treptow, ein Bürohaus in Beeskow und ein Hotel in Cottbus. Geplant sind Einkaufszentren in Senftenberg, Spremberg, Chemnitz und Schwedt, Hotels in Leipzig, auf Rügen und an der Wartburg.

Hand in Hand mit dem Klassenfeind

Die Gruppe verhandelte zunächst allerorten frei von Berührungsängsten mit den SED-Behörden, denen ihrerseits der Klassenfeind auch näherstand als die Bewahrung des Volkseigentums. So gründete Klingbeil Anfang 1990 mit dem Ostberliner Geschäftsmann Dr. Thomas Kröning eine Tochtergesellschaft, die Wieder-Aufbau GmbH. Die Wieder- Aufbau erhandelte von der damaligen Bezirksverwaltung des Berliner Bezirks Mitte und der Kommunalen Wohnungsverwaltung Mitte — der KWV — das Nutzungsrecht an einem freien Grundstück am S-Bahnhof Marx-Engels-Platz und an einem angrenzenden Wohnhaus aus der Jahrhundertwende. Im Joint-venture mit der Klingbeil-Ingenieurfirma Intertec wollte die Wieder-Aufbau den Jugendstilbau renovieren, daneben sollte ein zwölfstöckiges Hochhaus aus der Erde wachsen. Den Altbau hätte die Wieder-Aufbau 20 Jahre lang mietfrei nutzen dürfen — ein Geschäft, das angesichts des derzeitigen Booms von Büromieten in Berlins City einen Millionenschaden für die volkseigene KWV bedeutet hätte. Aber wenigstens geriet dies nicht zum persönlichen Schaden für die Verantwortlichen: Kröning brachte den KWV-Direktor Peters und den Bezirksbürgermeister Kroschwald, beide SED, in seiner Firma unter. Das sei ungeschickt gewesen, gesteht Guttmann heute zu. „Wenn wir das gemacht hätten, hätten wir den Mann doch nicht bei uns eingestellt, sondern ihm irgendwo einen Beratervertrag gegeben, wo es nicht so auffällt.“

Wenig später, nach den ersten freien Kommunalwahlen, wurden die Geschäftsführer der KWV ausgetauscht. Die neuen Leute merkten rasch, was für ein Kuckucksei ihnen Peters und Kroschwald hinterlassen hatten. Baustadträtin Dorothee Dubrau vom Bündnis 90 verweigerte der Wieder-Aufbau die Umbaugenehmigung. „Da hat der Dr. Kröning im Überschwang der neuen Freiheit seine Forderungen etwas überzogen und eine schlechte Stimmung geschaffen“, bemerkt dazu Klingbeil- Geschäftsführer Guttmann. „Wir haben den Vertrag deshalb der Wohnungsbaugesellschaft zurückgegeben.“ Von Kröning habe man sich getrennt. Die Wieder-Aufbau GmbH gehört nun übrigens Guttmann und Groenke.

Mehr Erfolg hatte die Gruppe im benachbarten Prenzlauer Berg. Dort schloß Klingbeil 1990 einen Vorvertrag über ein unbebautes Grundstück an der Schönhauser Allee ab, und zwar mit dem damaligen Bezirksbürgermeister Schulz und dem Direktor des Hauptauftraggebers im Baubereich, Schejok, zwei SED-Größen. Zwar zweifelte der Senat bald die Gültigkeit des Vertrags an, inzwischen hatte sich die Firmengruppe jedoch die Rückübertragungsrechte an einem Schlüsselgrundstück an der Schönhauser Allee gesichert. Damit hat sie gute Chancen, den Block mit einem Geschäfts- und Gewerbezentrum bebauen zu dürfen.

Etwa gleichzeitig gründete Klingbeil eine Tochtergesellschaft mit der Mitteleuropäischen Schlafwagen- und Speisewagen AG, besser bekannt als Mitropa. Die Gesellschaft will den historischen Leipziger Hauptbahnhof nebst seiner Umgebung sowie den Berliner Bahnhof Friedrichstraße für jeweils einige hundert Millionen Mark umgestalten. Gaststätten, Blumengeschäfte, Friseur, Zeitungsläden, Imbiß und was ein Reisender alles so braucht, sollen entstehen. Auch hier sind die finanziellen Bedingungen mehr als günstig: Die Mitropa hat noch mit dem alten Reichsbahnvorstand Keddi aus der SED-Zeit einen Generalpachtvertrag für alle Bahnhofsläden in der ehemaligen DDR abgeschlossen, bei dem sie nur 28 Mark pro Quadratmeter im Jahr an die Reichsbahn zahlt. Den kleinen Einzelhändlern hingegen knöpft sie zwischen fünf und 15 Mark pro Quadratmeter und Tag ab. Die Reichsbahn behauptet inzwischen, der Vertrag sei nachgebessert worden.

Alte Bekannte treffen sich wieder

In Frankfurt an der Oder hatte Klingbeil die roten Socken nicht nötig, denn dort konnte man sich auf vertrauterem Gelände bewegen. Im Juli 1990 war ein nicht ganz unbekannter Mann Wirtschaftsstadtrat in der Oderstadt geworden: Klaus Franke, CDU, der geschaßte Berliner Bausenator. Die Klingbeil-Gruppe konnte auch prompt das zentral gelegene Hotel „Stadt Frankfurt“ und den danebenliegenden „Platz der Republik“ erwerben. Das — vergleichsweise häßliche — Hotel wird demnächst abgerissen. Die Gruppe plant dort ein Vier-Sterne-Hotel mit 250 Zimmern, während auf dem Platz der Republik ein Kaufhaus entstehen soll. Hinterfragungswürdig ist vor allem der Kaufpreis: Die Firma bezahlte für das 5.000 Quadratmeter große Grundstück, auf dem das — ja wertlose — Hotel steht, acht Millionen Mark an die Treuhand. Der Platz der Republik, mit 8.000 Quadratmetern fast doppelt so groß, kostete jedoch nur zwei Millionen Mark — den verkaufte nämlich nicht die Treuhand an die Klingbeil-Gruppe, sondern die Stadt Frankfurt unter maßgeblicher Beteiligung des Wirtschaftsstadtrates Klaus Franke. Franke erklärte seinen fassungslosen Stadtverordneten anschließend, es habe andere Bewerber gegeben, die noch weniger geboten hätten. Der Stadtrat trat, nach nur sieben Monaten Amtszeit, zurück und ist heute Vorsitzender des Hauptausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus.

Auch im boomenden Geschäft mit Berlins Umland mochte Klingbeil nicht zurückstehen. Im Juli 1991 kaufte die Gruppe zusammen mit der Katz Baubetreuungs GmbH ein 380 Hektar großes Gelände bei Uetz- Paaren nördlich von Potsdam von der Gemeinde und derTreuhand. Im märkischen Sand soll für 350 Millionen Mark einer der größten Freizeitparks von Europa entstehen: ein Hotel mit 600 Betten, 60 Tennisplätzen — die Hälfte in Hallen — ein Golfplatz mit 72 Löchern, 50 Squash- Hallenplätze, mehrere Reithallen, ein Poloplatz mit Pferdeboxen, ein Fitness-Studio, ein Schwimmbad, und einige hundert Ferienbungalows und Werkswohnungen.

Bei dem schon seit über einem Jahr geplanten Vorhaben bekam die Klingbeil-Gruppe erfreulicherweise alle nur denkbare Unterstützung: Das volkseigene Gut Satzkorn, das auf dem Gelände liegt, wurde von der Treuhand vorab abgewickelt. Der Plan des Freizeitparks wurde von dem nordrhein-westfälischen Leihbeamten Ballensiefen gezeichnet, der eigentlich dafür zuständig war, den Landkreis Potsdam zu beraten. Und der Potsdamer Landrat Norbert Glante intervenierte sogar beim brandenburgischen Bauminister Jochen Wolf (SPD) für Klingbeil. „Es kommt darauf an, dieses Projekt vorrangig zu bearbeiten“, schrieb Glante an Wolf, der damals Regierungsbeauftragter war, und schloß, eher geheimnisvoll: „Die Gründe dafür sind uns beiden bekannt.“

Potsdamer Hilfsbereitschaft

So ist es auch kein Wunder, daß der Grundstückspreis recht sozialverträglich blieb. 2,50 Mark pro Quadratmeter zahlen Klingbeil und Katz für den größten Teil des Geländes, und selbst der winzige Teil davon, der als Bauland ausgewiesen ist, kostet mal gerade das zehnfache. Die Mittel für den notwendigen Straßenbau hingegegen muß die Gemeinde Uetz-Paaren aufbringen. „Das ist ein normaler Kaufpreis“, verteidigt sich Katz-Geschäftsführer Freedom Reitz. Sollten Klingbeil und Katz unerwarteten Gewinn machen — etwa, weil sich vielleicht doch noch größere Teile des Freizeitparks in Berlin-nahes Bauland verwandeln lassen — so sind sie verpflichtet, nachzuzahlen. Der Pferdefuß liegt im Detail: Diese Klausel gilt nur für die ersten fünf Jahre nach Vertragsabschluß.

Waren in Potsdam die örtlichen Behörden an Hilfsbereitschaft kaum mehr zu überbieten, so stieß die Gruppe anderenorts doch auf Widerstand. So schloß Klingbeil 1990 in Dresden einen Vertrag mit der Treuhandanstalt ab, der die Firma in den Besitz des Dresdener Stadtspeichers brachte, einem riesigen denkmalgeschützten Stahlbetonbau aus der Gründerzeit, nahe dem Zwinger an der Elbe. Diesen Vertrag ficht die Stadtverwaltung inzwischen an, denn der Stadtspeicher gehöre gar nicht der Treuhand. Dresden selbst beansprucht das historische Gemäuer per Rückübertragungsanspruch für sich, sagt Dr. Gunter Naumann vom Dresdener Wirtschaftsamt. „Mit Klingbeil verhandeln wir nicht, schließlich hat die Treuhand den Vertrag hinter unserem Rücken geschlossen“, meint Naumann.

Offenbar sind dem Aufstieg der Klingbeil-Gruppe doch Grenzen gesetzt, vor allem dann, wenn es öffentlichen Druck gibt. So etwa beim geplanten Kauf des Ost-Berliner Glühlampenwerkes Narva. Klingbeil wollte die mehrere Hunderttausend Quadratmeter umfassende Immobilie für nur 25 Millionen Mark von der Treuhand kaufen. Als man in Berlin öffentlich darüber spekulierte, ob alles mit rechten Dingen zugegangen sei, bekam die Treuhand kalte Füße. Der Kauf platzte.