Wenn die Fremden nach Butzbach kommen

Erste Asylbewerber zogen in Hessen in eine von der US Army geräumte Kaserne ein/ Bevölkerung bisher gelassen und hilfsbereit/ Stadt streitet mit dem Land um die Nutzungsrechte des Schloßkasernen-Geländes/ Militärstandort seit 1824  ■ Aus Butzbach Heide Platen

Nein, Butzbach will nicht Hoyerswerda oder Hünxe werden. Die gepflegten älteren Damen aus dem Kirchenkreis, die im Café vor dem Bahnhof über die neuen Einwohner diskutieren, sind sich einig: Sie haben gar nichts gegen die rund 50 Asylbewerber, die seit drei Tagen in einem Gebäude der von der US Army zu Jahresbeginn geräumten Schloßkaserne am Rand der Innenstadt untergebracht sind. Sie schütteln ihre modisch ondulierten Lockenköpfe und kommen gar ins Schwärmen. Da waren doch neulich, in diesem Lokal, „da wo die Knödel und das Rotkraut so gut waren“, diese beiden „ganz reizenden ausländischen Kellner“. So gut und charmant seien sie „noch niiee“ bedient worden.

Butzbach im hessischen Wetteraukreis mit seinen rund 22.000 Einwohnern hält sich für eine weltoffene Stadt. Das muß sie wohl auch. Seit 1945 waren hier und im Stadtteil Kirch-Göns über 2.000 amerikanische Soldaten stationiert. Ein Prospekt des Geschichtsvereins vermerkt auch bei der Integration der 2.000 Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland und Schlesien nach dem Zweiten Weltkrieg keine Probleme, außer vielleicht, daß ein „erheblicher Teil von ihnen“ als Römisch- Katholische in das protestantische Butzbach kamen. Deshalb nimmt die Bevölkerung die Einweisung der ersten 50 — von rund 500 — Menschen aus Pakistan, Jugoslawien, Rumänien, der Türkei und mehreren afrikanischen Ländern relativ gelassen bis hilfsbereit hin. Bewohner brachten Kleidung, Haushaltsgeräte, einen Fernseher vorbei. Ein älteres Ehepaar verguckte sich besonders in eine junge Frau mit großen braunen Augen, die in ihrer dünnen Kleidung frierend vor dem neuen Heim stand. Ihr, und ganz speziell ihr, brachten sie warme Jacken. Ein anderes Paar kümmert sich gezielt um eine Familie mit Kleinkind.

So weit, so gut. Die Kommunalpolitikerin Annemarie Bach (Grüne) traut dem Butzbacher Frieden nicht so ganz. Sie weiß, daß es auch im Ort „vereinzelt“ Skinheads gibt, „mit Freunden von außerhalb“. Ein Einwohner berichtet, er habe schon in der ersten Nacht „Ausländer raus“- Plakate abgerissen. Der Wachmann vor dem Tor des nach amerikanischen Sicherheitsstandards umzäunten Geländes ist auch nicht gerade vertrauensvoll, vor allem wegen der nebenan schon begonnenen Bauarbeiten am neuen Heimatmuseum. Sein Kollege entdeckte in der Nacht zum Montag „Randalierer“, die von hinten über einen Zaun geklettert seien, aber vertrieben werden konnten. Er beklagt die übereilte Verlegung der Asylbewerber von der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft in Schwalbach (HGU) nach Butzbach. Sie hätten noch gar keine Ausrüstung, nicht einmal Funkgeräte, kein Telefon im Gelände.

Der stellvertretende Heimleiter Friedrich Müller ist das Improvisieren gewohnt. Er ist froh, daß „die Amerikaner“ die Kaserne immerhin geputzt und spiegelblank gebohnert hinterlassen haben, daß die Räume hell und luftig sind. Heizung, Strom, Telefon, das habe am Anfang halt alles nicht funktioniert, werde aber „gerade unbürokratisch geregelt“. Während afrikanische Familien am Montag vormittag die gelieferten Feldbetten in das Haus tragen, hält der kurdische Junge Besut seine kleine Schwester Merbe fest im Arm. Die Kinder hocken auf einem Feldbett vor dem Fernsehgerät und schauen mit großen Augen zu, wie Thomas Gottschalk ein strahlendes Hochzeitspaar aus einer Traumkutsche entläßt. Neben ihnen sitzen der 19jährige Kosovo-Albaner M. und sein Dolmetscher. M. ist nach seinem Grundwehrdienst in der jugoslawischen Bundesarmee und 17 Tagen Kampf in Slawonien mit einem Freund nach Zagreb desertiert und von dort gegen Zahlung von 1.000 Mark von einem LKW-Fahrer aus dem Land gebracht worden. Er ist gut angezogen, wortgewandt. Und er betont immer wieder, er sei bestimmt kein Wirtschaftsasylant. Seine Familie daheim habe Geld, drei kleine Lebensmittelläden. Er wolle nur nicht totgeschossen werden „für die ungerechte Sache der Serben, die uns auch unterdrücken“. Heimweh hat er schon jetzt. Die Familie sei einerseits traurig, aber doch froh, daß er in Sicherheit sei. Zurückkehren werde er erst, wenn überall in Jugoslawien Frieden sei: „Dafür muß Deutschland was tun!“

Während in der Schloßkaserne der Alltag beginnt, die Lokalzeitung, die SPD, die Kirchen zur „Mitmenschlichkeit“ aufrufen, schlagen die Wellen im schmucken Fachwerkrathaus am Marktplatz hoch. Magistrat und Parlament hatten sich schon so schöne Pläne für die Nutzung des 8,5 Hektar großen Geländes mit dem landgräflichen Barockschloß, den Wohnhäusern und Gartenanlagen gemacht und Investoren gesucht. Das Schloß ist schon 1824 zur Kaserne umgebaut worden. „Seither“, sagt der erste Stadtverordnete Klaus- Jürgen Fricke (SPD) leicht anklagend in Richtung Landesregierung, „hat es die Stadt nicht mehr selbst nutzen können.“ Parlament und Magistrat seien keinesfalls „prinzipiell gegen Asylanten“, sie hätten sich aber von Sozialministerin Blaul durch die schnelle Einweisung überfordert gefühlt: „Wir haben gerade noch in Wiesbaden verhandelt, da standen die Menschen schon vor der Tür.“ Am Montag abend stimmte das Butzbacher Stadtparlament, gegen die Stimmen der drei Grünen, einem Kompromiß mit dem Land zu. Bis Dezember 1992 dürfen die Asylbewerber bleiben, dann sollen sie wieder fort. Annemarie Bach ärgert sich über die Vorgehensweise der Stadt. Der Magistrat habe am Montag morgen am Parlament vorbei ein Verwaltungsgerichtsverfahren angestrengt, obwohl Ministerpräsident Eichel „Butzbach zur Chefsache“ gemacht und persönlich für den Kompromiß plädiert habe: „Dem Wort des Ministerpräsidenten müssen die doch vertrauen können und nicht gleich vor Gericht ziehen.“ Daß die Menschen aus der Schloßkaserne schon alle bald wieder ausziehen sollen, sieht sie auch nicht ein. Da sei „so viel Platz, so viele Häuser stehen leer“.