Bundesbahn privatisiert Nebenstrecken

■ In Niedersachsen wurden 159 Kilometer Eisenbahn an Kommunen und Land verkauft

Hannover (taz) — Der Vertrag betrifft nur vier Nebenstrecken der Bundesbahn, und sie führen etwa von Bremerhaven nach Wulsdorf-Hollenstedt oder von Hesedorf nach Stade. Dennoch sprach der Vorstandsvorsitzende der Bundesbahn, Heinz Dürr, gestern in Hannover vor der Unterzeichnung des Vertragstextes von einem „Meilenstein auf dem Weg zur Regionalisierung der Eisenbahn“.

Für den symbolischen Preis von einer D-Mark hat die Bundesbahn gestern ein 159 Kilometer langes Schienennetz, gelegen im Dreieck zwischen den Städten Cuxhaven, Bremen und Hamburg, an die „Eisenbahn Elbe-Weser GmbH“ (EVB) verkauft, die sich mehrheitlich im Besitz des Landes Niedersachsen befindet. Nach den Worten von Heinz Dürr ist dies der „erste Regionalisierungsvertrag dieser Größenordnung, der überhaupt von der Bundesbahn abgeschlossen wurde“. Damit nach achtjährigen Verhandlungen auch Dürrs Vertragspartner, Niedersachsens Wirtschaftsminister Peter Fischer, zur Übernahme der von Stillegung bedrohten Schienenstrecken bereit war, mußte die Bundesbahn sogar noch 21 Millionen Mark „Starthilfe“ an die EVB zahlen, mit denen die für „einen reibungslosen Bahnverkehr notwendigen Investitionen“ finanziert werden sollen. Niedersachsen will sich an diesen Investitionen mit noch einmal 7,3 Millionen beteiligen.

Über sechs weitere solcher Regionalisierungsprojekte steht die Bundesbahn im Westen der Bundesrepublik bereits in Verhandlungen. Drei weitere seien angedacht, sagte Heinz Dürr, und auch für die Nebenbahnen in den östlichen Bundesländern sei die Regionalisierung „ein ganz großes Thema“. Allerdings bestritten in Hannover weder Heinz Dürr noch der Landeswirtschafts- und Verkehrsminister Peter Fischer, daß mit dieser Regionalisierung auch eine Defizitverlagerung vom Bund zu den Ländern und den Landkreisen stattfindet, die auch noch an dieser nicht bundeseigenen Bahn beteiligt sind. Zwar betonten Dürr und Fischer gestern unisono, daß das Defizit der Strecken durch den Verkauf erheblich sinken werde. Sie erwarteten Einsparungen u.a. durch bessere Ausnutzung des Schienennetzes und des Wagenparks. Nach den eigenen Prognosen der EVB ist allerdings dennoch für die vier Strecken weiterhin mit einem jährlichen Defizit von 900.000 bis einer Millionen Mark zu rechnen — für das die EVB, anders als zuvor die Bundesbahn, auch keine Fördermittel für den öffentlichen Personennahverkehr vom Bund erhalten wird. Erpreßt von der Bundesbahn sah sich Peter Fischer gestern allerdings nicht: „Die Alternative zu der Übernahme war nur, daß es auf den Strecken überhaupt keinen Personenverkehr mehr gegeben hätte“, sagte der Verkehrsminister. Jürgen Voges