Nibelungen im Schwitzkasten

■ THEa-Tüt spielen »Die Nibelungen« im Theater unterm Dach

Als Fritz Lang 1924 seinen Nibelungenfilm herausbrachte, tauchte am Tag der Uraufführung in der Potsdamer Garnisonskirche, wo der Alte Fritz begraben lag, ein Kranz mit dem Schriftzug auf: »Zur Premiere des Nibelungenfilms. Fritz Lang«

Als gesichert gilt, daß seine Frau und eifrige Drehbuchschreiberin Thea von Harbou (die im Gegensatz zum Exilanten Lang später Nazi wurde) auf solche Weise dafür Sorge trug, daß deutsche Tradition sich pathetisch fortschrieb. Der verhängnisvoll völkisch gestimmten Dame ist es schließlich auch zu danken, daß die monumentale, stumme Bilderflut des genialen Regisseurs Lang mit einer lächerlichen Widmung an das deutsche Volk anhebt.

Solche nationalistische Überhebung wirkt heute wie Hohn — nicht nur weil sich der Film plötzlich wie ein faschistischer Trailer darstellt, sondern vor allem weil das heroische Personal des Nibelungenliedes mit der nationalistischen Aufgabe völlig überfordert bleibt. Hagen und Krimhild, die Hauptwidersacher, sind ganz realpolitisch denkende Gestalten, denen es um Macht, um Geld und Prestige geht und denen es gelingt, mit dem kleinen Zauberwort der »Ehre« brav mordende Bluthunde abzurichten, die auf Befehl sich gegenseitig selbst zerfleischen.

Im Theater unterm Dach hat die Gruppe THEa-Tüt eine neue Version der todgeweihten Schicksalsstory hergestellt, die nicht aufs Mordgelüst, jedoch auf alles Politische gern verzichtet. Der Streit zwischen Hagen und Siegfried entstammt dem (Un-)Willen der Triebe: Hagen rettet Krimhild aus den eifersüchtigen Klauen Brünhilds, worauf Siegfried in Eifersucht vergeht. Die überlieferten Zwangshandlungen der alten Heldenschablonen sind in den persönlichen Konflikt überführt: ein Spiel um Liebe und Beziehungsknatsch, um Abhängigkeit und Eifersucht. Hagens heimliche Liebe — so scheint es — läßt den schönen Recken töten.

Mit kleinen Glöckchen in den Händen klingelt sich der Tod in das Gedächtnis und dröhnt in den Gedanken der eitlen Beziehungskrieger, die mit spitzen Tüten überm Arm aufeinander losgehen. Am Ende reitet Krimhild, der triumphierende Racheengel, auf dem in braune Lumpen gesteckten Tod übers Schlachtfeld — so mündet die Beziehungsfehde der Mächtigen in dumpfes Völkerschlachten; und das kräftige Symbol ersetzt die klare Analyse.

Die rein gestische Bilderwelt, die Udo Klenner mit seinen sieben Darstellern erarbeitet hat, kommt ganz ohne ballettösen Spitzentanz und ohne schicksalserzitternde Stimmgewalt aus und bleibt daher von jeder Monumentalität verschont. Auf der schlichten, leeren Bühne springen und winden sich die Figuren inmitten eines großen weißen Kreisels, wozu im Hintergrund eine Breitwandfläche sich theatralisch immer wieder öffnet und schließt.

Doch das Ergebnis bleibt reichlich unterkühlt und karg. Schon der Raum ist für jede ausgreifende, ausschreitende Bewegungsfolge im Tanzschritt denkbar ungeeignet: die Decke hängt bedrohlich tief, und das Publikum ist bedrohlich nah an die agierenden Leiber rangeklemmt. Da bringt jeder kleine wackelige Patzer die harte Technik der Körperarbeit ins Bewußtsein.

Zudem ist die Dramaturgie ziemlich spröde: im Ehrgeiz, mehr zu erzählen, als gut und stimmig wäre, verzettelt sich das Ganze in kurzen, abgehackten Szenen und Szenchen, die Stimmungslöcher reißen, so daß auch die eher dezent gesetzte Musik von Henning Westland die fehlende Spannungskurve nicht ersetzen kann.

Dabei gelingen durchaus schöne Einzelbilder, etwa dort, wo das körperbezogene Spiel ganz bei sich sein darf und antagonistische Liebesgefühle ausdrückt: während Gunther und Brunhild auch ringend nicht zueinander finden können und in sperrigen Bewegungen sich verkeilen, ist zur gleichen Zeit bei Siegfried und Krimhild alles Harmonie, und das Liebesspiel erklimmt allmählich seine Höhen.

Doch letztlich gilt das, was Heinrich Heine dem Nibelungenlied attestierte, auch für diese etwas zu stark in den Schwitzkasten genommene Darbietung: »Es ist wahr, daß ihr Gang ein bißchen unbeholfen ist, daß einige sich darunter sehr linkisch benehmen, und daß man über verliebtes Wackeln manchmal lachen könnte.« baal