Keine Entwarnung für den Arbeitsmarkt

■ Interview mit dem Direktor des Arbeitsamtes VII (Ost), Gerhard Rosenkranz/ Die schlimmsten Zahlen kommen erst im Januar

Die Entwarnung für den Arbeitsmarkt im vergangenen Monat war offensichtlich verfrüht. Nach einem relativen Rückgang der Arbeitslosigkeit im September stiegen die Arbeitslosenzahlen im Oktober wieder an. Gleichzeitig verringerte sich die Zahl der Kurzarbeiter. Wie das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg gestern mitteilte, sind in Gesamt- Berlin jetzt knapp 194.000 Männer und Frauen ohne Beschäftigung. Im Ostteil der Stadt stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 99.999 an, während die Arbeitslosenquote dort immer noch 14 Prozent beträgt.

Der Westberliner Arbeitsmarkt wird nach wie vor durch Arbeitskräfte aus dem Ostteil und dem Umland beeinflußt. Hier stieg die Arbeitslosenquote von 9,3 auf 9,5 Prozent. Insgesamt 150.000 Männer und Frauen in Ost-Berlin nehmen derzeit an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Fort- und Weiterbildung sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teil.

Fast ein Drittel der Ostberliner Arbeitslosen werden vom Arbeitsamt VII, zuständig für die Bezirke Pankow, Weißensee und Prenzlauer Berg, betreut. Dort wurde im Oktober die Zahl von 30.000 Arbeitslosen überschritten. Für 4.000 Arbeitslose wurden bisher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt. Die taz sprach mit dem Direktor des Arbeitsamtes, Gerhard Rosenkranz, über die aktuelle Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.

taz: Herr Rosenkranz, im vergangenen Monat hatte man erstmals das Gefühl, es ginge bergauf mit dem Arbeitsmarkt. Wie stellt sich die Lage in ihren drei Bezirken dar?

Rosenkranz: Die Septemberzahlen zeigten lediglich eine relative Konstanz der Zahlen. Bei uns kann von einer rückläufigen Tendenz nach wie vor keine Rede sein.

Was erwarten Sie für den bevorstehenden Winter?

Den vorläufigen Höhepunkt wird es Ende Dezember geben. Dann werden noch einmal zahlreiche Kurzarbeiter betroffen sein. Außerdem stehen dann die Kündigungen zum Ende des Quartals an. Deutlich wird das allerdings erst im Januar werden. Man muß sich davor hüten, im Dezember zu publizieren, es sei nun doch alles nicht so schlimm gekommen.

Wie hoch werden die Arbeitslosenzahlen in Ihrem Zuständigkeitsbereich Ihrer Einschätzung nach noch klettern?

Ich befürchte, daß noch mal ein paar tausend hinzukommen.

Wie sieht es mit saisonbedingten Rückgängen aus, beispielsweise in der Baubranche?

Das wird auch eine Rolle spielen, aber ich glaube nicht, daß sie auf dem Ostberliner Arbeitsmarkt sehr ins Gewicht fallen wird gegenüber den übrigen Arbeitsmarktproblemen. Außerdem greift auch bei uns schon die sogenannte Winterbauförderung. Zu einem Einbruch wird es also auf dem Gebiet nicht kommen, auch weil es gerade in der Baubranche eindeutige positive Zeichen gibt.

Welche Rolle spielen Umschulung und Fortbildung?

Eine sehr große. Im vergangenen Monat haben wir wieder 1.302 Leute in derartige Maßnahmen vermittelt; in diesem Jahr bereits über 12.000. Es gibt dafür ein schönes Beispiel: Die Hälfte aller Pendlerinnen, also Ostberliner Frauen mit einem Arbeitsplatz im Westteil, arbeiten dort in Positionen, für die sie ursprünglich nicht ausgebildet worden sind.

Halten Sie es für sinnvoll, ABM als arbeitsmarktpolitisches Mittel weiter zu forcieren?

ABM schafft natürlich keine Arbeitsplätze, aber es überbrückt. Wir versuchen, in der Zeit, in der die betroffenen Leute in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme stecken, ihnen zu ermöglichen, sich in relativer Ruhe nach einer festen Stelle umzusehen. Und nichts ist schlimmer, als ein oder zwei Jahre zu Hause zu sitzen. Die Leute hier in Ost-Berlin akzeptieren die ABM-Programme.

Wann rechnen Sie mit einem Aufschwung?

Sehr vorsichtig prognostiziert hoffe ich, daß es mit Ausgang des ersten Quartals 1992 mehr Leute gibt, die wieder eine Arbeit finden, als neu hinzukommende Arbeitslose. Dann wird die Zahl der Arbeitslosen sukzessive kleiner werden, aber sicher nicht in Riesenschritten. Interview: Jeannette Goddar