KOMMENTARE
: Ergründung des Intimen

■ Die Chance eines Neuanfangs in der Sexualforschung

Wie das Leben so spielt: Da empören sich seit Jahren die fortschrittliche Sexualforschung und weltweit die Lesben- und Schwulenbewegung über die Hormonforschungen eines Professor Doerner im kommunistischen Ost-Berlin... und kurze Zeit später überlegt just derselbe Professor mit KollegInnen aus Ost und West, ob er nicht der Berufene sei, um in Berlin ein großes sexualwissenschaftliches Institut zu gründen. Eine brillante Idee! Weshalb sollte nicht dort, wo unter Magnus Hirschfeld — für die damalige Zeit — progressive Sexualforschung betrieben wurde, künftig der Hort der biologischen Reaktion sein? Glücklicherweise gibt es Menschen, die da anders denken. Sie sehen zum einen die Gefahr der Etablierung einer traditionalistischen, von der Hormonforschung oder gar der Konstitutionsbiologie geprägten Sexualforschung. Zum anderen sehen sie die enorme Chance, in Berlin Neues zu wagen. Zwar sind auch die sexualwissenschaftlichen Institute in Hamburg und Frankfurt/M. nicht rein medizinisch orientiert, doch konnte die Chance einer Geschlechterforschung bislang dort kaum ergriffen werden.

In Berlin gibt es die einzigartige Möglichkeit, bei der Einrichtung des Instituts die veränderte Forschungssituation zu berücksichtigen. Heute wissen wir, daß eine geschlechtsneutrale Betrachtung der Sexualität dem Gegenstand nicht gerecht wird. Sexualität ist geschlechtlich von Anfang an, und das Forschen und Schreiben über Sexualität ist geprägt von der Geschlechtszugehörigkeit der ForscherInnen. Dies bei der Institutsgründung mitzubedenken, heißt nicht bloß »Quotierung«. Es bedeutet, den Blick des jeweils anderen Geschlechts systematisch verstehen zu lernen und gegenseitig nutzbar zu machen. Ein solcher Versuch könnte international Epoche machen. Die Breite des UnterzeichnerInnen- Kreises läßt hoffen, daß die Unterstützung der Fachwelt heutzutage doch nicht mehr den Doerners gehört. Albert Eckert

Albert Eckert ist kulturpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Grüne (AL)/UFV