DOKUMENTATION
: Woran Friede gemessen wird

■ Von Heinz Galinski

Eine politische Karikatur aus der Presse prägte sich mir in den letzten Wochen schmerzhaft ins Gedächtnis ein, deren Aussage ich in diesen Tagen nicht loswerden kann. Und dies gilt, obwohl sie die Vision des Friedens im Nahen Osten, trotz des mehrfachen Hin- und Herschubsens, näher als jemals zuvor an die Realität heranrücken läßt. Darauf ist ein Israel verkörperndes Männchen abgebildet, wie es gegen erheblichen Widerstand und mit Mühe an den Verhandlungstisch in Madrid geschoben wird. Und da aus der sicheren Entfernung von den Alpen zu den Golan-Höhen wie auch immer geartete Verhandlungen bereits Friedensbereitschaft bedeuten, vermittelt diese Karikatur dem Zeitungsleser eine Botschaft des kriegslüsternen jüdischen Staates.

Es ist seltsam. Eigentlich müßte man mir zugestehen — als einem Juden meiner Generation, der Auschwitz überlebte und der großgeworden ist in einer Welt, die das Vorurteil pflegte, Juden seien feige und hinterhältig —, daß ich so etwas wie Genugtuung empfinde bei dieser neuen Beschuldigung, aus der Juden als ewige Raufbolde und Friedensstörer hervorgehen. Nun, ich würde keine Genugtuung empfinden, selbst wenn dieses neue Klischee gerechtfertigt wäre. Aber es berührt mich schmerzhaft, daß man es — an der Realität vorbei — produziert, um mit umgekehrten Vorzeichen nach altbewährtem Grundmuster eine Gemeinschaft bloßzustellen, deren einziges Vergehen seit mehr als zweitausend Jahren ist, unter Wahrung der eigenen kulturellen Eigenart überleben zu wollen. [...]

Es wäre nach meiner Meinung zu einfach, im Rahmen eines logischen Begriffspaars jeden Frieden für das absolut Gute erklären zu wollen, weil jeder Krieg zu Recht als absolut Böses bezeichnet wird. Der Friede ist nur bis zu dem Maße gut, in dem darin der streitenden Partei, die im aufgezwungenen gewalttätigen Kampf ihr Recht auf Überleben verteidigen mußte, dieses Recht und das fortgesetzte friedliche Leben garantiert wird. [...]

Was war es denn, was die Israelis scheinbar in die Position der streitsüchtigen Raufbolde versetzt hat? Wer war der Schuldige? Waren es etwa die Bilu'im — die ersten Pioniere, die vor mehr als hundert Jahren in Palästina Zuflucht vor den Pogromen in Rumänien gesucht und gefunden hatten? Oder die danach folgenden Wellen von Auswanderern aus Rußland und Polen, die im gleichen Maße anschwollen, in dem die Judenverfolgungen an Brutalität zunahmen? Waren es schließlich die Flüchtlinge vor der Todesindustrie des Adolf Eichmann und die wenigen Überlebenden, die nach den Vernichtungslagern noch die allgemein bekannten Erniedrigungen der britischen Internierungslager auf sich nehmen mußten, bis sie die Häfen von Haifa und Jaffa erreichen konnten?

Und womit haben sie sich schuldig gemacht? Allein damit, daß sie nach dem erbrachten Beweis der nicht vorhandenen Bereitschaft der Völker dieser Welt, sie aufzunehmen, zu schützen oder zu tolerieren, konsequenterweise nach einer jahrhundertelangen Wehrlosigkeit ihren Willen bekundeten, sich mit eigenen staatlichen Institutionen gegen künftige Vernichtungsversuche zur Wehr zu setzen.

Alles, was ich mit diesen Ausführungen bezwecken möchte, ist das tiefe Begreifen des Wortes Sicherheit, wie es in den Ohren der Israelis klingt und klingen muß und wie es in den Ohren jener Nationen, vor deren „gesundem Volkszorn“ Juden im letzten Jahrhundert nach Palästina fliehen mußten, klingen sollte. [...]

Die Konferenz von Madrid ist eine enorme Errungenschaft der Diplomatie des späten 20. Jahrhunderts, und sie wird in die Geschichtsbücher eingehen, unabhängig davon, mit welchem Ergebnis sich die Verhandlungspartner diese Woche vom Tisch erheben werden. [...] Es muß bei der Bewertung des Verlaufs der Konferenz immer wieder daran erinnert werden, daß das gesicherte Existenzrecht des Staates Israel und die Möglichkeit, es aufrechtzuerhalten, ein unantastbares Gut und keine Verhandlungsmasse für mögliche Kompromisse darstellt. Es muß ferner daran erinnert werden, daß am Madrider Verhandlungstisch — nicht anders als in der Realität des täglichen Krieges — sich Israel allein gegen eine Übermacht seiner Nachbarn durchzusetzen hat.

Und es muß schließlich daran erinnert werden, daß ein Friede nur dann diesen Namen verdient, wenn er die Dekorierung seiner Stifter mit internationalen Preisen überlebt. [...]

Der Autor ist Vorsitzender des Zentralrats der deutschen Juden; den gekürzten Text entnehmen wir der 'Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung‘ Nr. 46/44, 1. November 1991.