Vorm großen Ausverkauf?

Wo am Gesetz vorbei Kunstwerke jeder Größe und Qualität aus der Sowjetunion geschmuggelt und auf den unersättlichen Kunstmärkten des Westens losgeschlagen werden, möchte die Regierung Rußlands offenbar nicht beiseite stehen. Wie der Korrespondent der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass aus New York mitteilt, hat die russische Föderation die Absicht, Werke von Picasso und Matisse aus dem Bestand russischer Museen an amerikanische Firmen gegen Landmaschinen und Getreide zu verramschen. Ein Brief vom 29. Oktober, den der sowjetische Journalist zitiert, ersucht um strikte Geheimhaltung — verständlicherweise. Denn die Operation wäre nicht nur illegal, sie würde auch einen Zornesausbruch ohnegleichen in der russischen Öffentlichkeit auslösen. Bislang hat die Regierung Rußlands nicht dementiert, wohl aber der amerikanische Landwirtschaftsmaschinen-Hersteller John Deere, der in dem Dokument als einer der Vertragspartner genannt wurde. Der taz gegenüber verlautete der europäische Public- Relations-Manager der Firma, Graf Schwerin, John Deere seien derartige Verhandlungen und Absprachen unbekannt. Er hätte allerdings nicht das mindeste dagegen, einen Picasso in seinem Empfangssalon aufzuhängen, am besten mit einem Traktor als Sujet. Ein Leger würde es zur Not auch tun, ergänzte der Kunstfreund.

Klassiker der Moderne wie Cezanne oder Picasso wurden noch zu Zeiten des Zarismus in Rußland gesammelt, vor allem von Shukin, der noch vor der Oktoberrevolution seine Erwerbungen dem Publikum zugänglich machte. Die Sammlung Shukin wie auch andere Privatbestände gingen in den dreißiger Jahren ins Eigentum der Sowjetunion über und wurden über die verschiedenen Museen des Imperiums gestreut bzw. in deren Magazinen verwahrt. Sollten diese großen Werke den Sturm des Stalinschen Antiformalismus überstanden haben, um jetzt dem Sturm kapitalistischer Erneuerung zum Opfer zu fallen? Auf ein Dementi der russischen Behörden wartet dringend C.S.