Kein Asyl in Norderstedt

Die aus Mecklenburg-Vorpommern geflüchteten Asylbewerber sind auch in Norderstedt nicht erwünscht/ Kirchenvorstand und Kieler Landesregierung drängen auf Rückkehr  ■ Von Jürgen Oetting

Norderstedt (taz) — In der Norderstedter Shalom-Kirche standen gestern mittag Grüppchen diskutierender Mesnchen zusammen, fein säuberlich getrennt nach kirchlichen Mitarbeitern und autonomen Unterstützern der Asylbewerber, die es auf ihrer Odyssee von Neumünster über Greifswald und wieder Neumünster nach Norderstedt verschlagen hat. Außer ein paar kurdischen Männern diskutiert kein Asylbewerber mit. Einige Kinder spielen mit einem Ball, die erwachsenen Flüchtlinge haben sich an eine Stirnwand des Versammlungsraumes zurückgezogen und beobachten teilnahmslos, wie über sie gesprochen wird. Nicht mit ihnen.

Ihre Lage hat sich zugespitzt. Vorgestern abend wurde ein Gespräch zwischen Flüchtlingen, Kirche, Unterstützern und Vertretern der Landesregierung ergebnislos abgebrochen. Die Asylbewerber wollen um keinen Preis zurück nach Greifswald, die Landesregierung besteht auf Rückkehr. Doch die Töne aus Kiel sind etwas moderater geworden. Man will die Flüchtlinge nicht mehr notfalls mit Polizeigewalt wegtransportieren, wie Sozialminister Günther Jansen noch vorgestern verkündete. Nun heißt es aus seinem Ministerium: „Wir setzen weiter auf Verhandlungen, um die Asylbewerber zur Rückkehr nach Ostdeutschland zu bewegen.“ Ministerpräsident Engholm sagte, die Zeit werde knapp, weil für die kommende Woche in Mecklenburg-Vorpommern ein Anhörverfahren zu den Asylanträgen angesetzt sei. Die Flüchtlinge drohten durch Verzögerungstaktik einen Anspruch auf Asyl selbst zu verwirken.

Die Stimmung in der Kirche ist angespannt. „Es kommt soweit, daß sich kein Arsch mehr für diese Geschichte interessiert.“ So fluchte gestern mittag der Fotoreporter einer großen Nachrichtenagentur. „In Neumünster konnte man jedenfalls noch arbeiten.“ Er war gekommen, um die AsylbewerberInnen zu fotografieren. „Doch wenn ich hier blitze, fliegen wir alle raus.“

„Wir alle“, das sind die JournalistInnen, die gestern in Scharen in das Gebäude einfielen. In der Norderstedter Shalom-Kirche fanden sie keine auskunftsfreudigen GesprächspartnerInnen.

Das war während der sechswöchigen Kirchenbesetzung in Neumünster anders. Kirchliche MitarbeiterInnen, grüne UnterstützerInnen, einzelne Flüchtlinge und die Pastoren waren immer zu Gesprächen bereit. Nach dem Hooligan-Angriff auf die Greifswalder Unterkunft und dem privaten Rücktransport ist alles anders. Autonome UnterstützerInnen haben das Sagen. Und die sagen nichts. Das sei mit den Flüchtlingen so abgesprochen, heißt es. Aber die meisten der erschöpften Ausländer wissen nichts davon.

Die Norderstedter Shalom-Kirche ist ein alternatives Gotteshaus, ohne Kirchturm und ohne Orgel. Der zentrale Raum des Backsteingebäudes wird für Andachten ebenso genutzt wie für weltliche Versammlungen. Seine Nutzung als Schlafraum ist dagegen neu und auch für kirchliche MitarbeiterInnen ungewohnt. Auch sie stehen ratlos diskutierend herum. Der Kirchenvorstand schließt sich der Ansicht der Kieler Landesregierung an und verlangt, daß die Flüchtlinge nach Greifswald zurückkehren.

Ein Sprecher des kirchlichen Selbstverwaltungsgremiums wiederholt stereotyp seine Stellungnahme: „Wir müssen darauf warten, was die Politiker entscheiden. Wir können den Flüchtlingen keine Alternative bieten. Es muß ein Platz gefunden werden, an dem sie unter menschenwürdigen Umständen auf ihre Asylbescheide warten können. Aber wir werden diese Menschen nicht in die Kälte und in den Regen schicken. Das gebietet uns unsere christliche Nächstenliebe.“

Unterdessen wird die Gruppe der Asylbewerber immer kleiner. Ursprünglich hatten 86 Ausländer sich in die Neumünsteraner Anschar-Kirche geflüchtet, weil sie nicht über ostdeutsche Heime verteilt werden wollten. Nachdem die Kirche dann — nach sechs Wochen Besetzung — eine Unterkunft in Greifswald beschafft hatte, ließen sich etwa 60 AsylbewerberInnen dorthin verfrachten. Zurück kamen sie alle. Doch in der vorletzten Nacht schliefen nur noch 42 in der Norderstedter Shalom-Kirche. Immer mehr von ihnen tauchen in die Illegalität ab.