INTERVIEW
: BND entwickelte „schwarze Reichswehrmentalität“

■ Jürgen Seifert, Staatsrechtler und Beiratsmitglied der Humanistischen Union, zur Kontrolle der Geheimdienste

taz: Die Regierung in Bonn hat die geplante Waffenschieberei zwischen dem Israelischen Geheimdienst Mossad und dem Bundesnachrichtendienst zur wehrtechnischen Zusammenarbeit heruntergespielt. Zur gleichen Zeit hat die Hamburger Staatsanwaltschaft erklärt, sie müsse erst einmal prüfen, ob überhaupt gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen wurde. Liegt aus Ihrer Sicht ein solcher Verstoß vor, und gegen wen müßten sich die Ermittlungen richten?

Jürgen Seifert: Meines Erachtens hat die geplante Lieferung auf jeden Fall gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Aber genau das muß die Staatsanwaltschaft jetzt klären. Wenn ich Staatsanwalt wäre, würde ich das Verfahren gegen Unbekannt richten und hinsichtlich der verantwortlichen Mitarbeiter im Bundesnachrichtendienst (BND) ermitteln. Ich bin allerdings der Meinung, daß man nicht alles mit dem Strafrecht regeln kann. Der eigentliche Skandal liegt auf der politischen Ebene, und politische Probleme können nicht strafrechtlich gelöst werden.

Auf dieser Ebene hat die Bundesregierung inzwischen die Flucht nach vorne angetreten und in Aussicht gestellt, die Kontrollmöglichkeiten der Parlamentarischen Kontrollkommission auszuweiten. Wie müßten diese Befugnisse aussehen, um künftig ähnliche Vorfälle zu verhindern?

Zunächst: Es ist nicht die Bundesregierung, die diese augenblicklichen Überlegungen angestoßen hat. Das waren die Mitglieder der Kontrollkommission. Nach über zehn Jahren haben sie gemerkt, was die Humanistische Union schon immer gesagt hat: Diese Gremien sind keine Kontrollgremien. Der Allparteienvorschlag, der jetzt aus der Parlamentarischen Kontrollkommission kommt, wird von der Bundesregierung auch nur aufgegriffen, um zu beschwichtigen. Die dort genannten Eckwerte sind zwar vernünftig, grundsätzlich wäre es aber sinnvoller, dafür einen eigenen Parlamentsausschuß zu schaffen. Entscheidend ist bei den derzeitigen Überlegungen aber, daß an Minderheitenrechte für die Oppositionsparteien gar nicht gedacht wird. Die Opposition muß von sich aus einzelne Vorfälle aufgreifen können. Solange die Regierungsparteien jede Untersuchung abwimmeln können, ist diese Kontrolle nur eine Farce.

Kann eine parlamentarische Kontrollkommission überhaupt in die Lage versetzt werden, die Nachrichtendienste effektiv zu kontrollieren?

Das kann nur im Zusammenhang mit einer umfassenden Revision der Nachrichtendienste funktionieren, weil sich die beiden großen Dienste — der BND und der Verfassungsschutz — in der Vergangenheit verselbständigt haben. Der Bundesnachrichtendienst scheint mir dabei das größere Problem, da er bis Mitte letzten Jahres in einem mehr oder weniger halblegalen Zustand gearbeitet und dabei so etwas wie eine „schwarze Reichswehrmentalität“ entwickelt hat. Auch die Reichswehr hat in der Weimarer Zeit so etwas wie eine Neben-Reichswehr aufgebaut, weil der Versailler Frieden nicht alles zuließ, was sie machen wollte. Auch im BND hat man sich daran gewöhnt, daß man in der Phase der Grauzone alles mögliche machen darf — deshalb fehlt diesen Leuten auch jedes Unrechtbewußtsein. Ob man dem mit parlamentarischer Kontrolle allein beikommt, bezweifele ich. Wenn beipielsweise der zuständige Kanzleramtsminister Stavenhagen im Zusammenhang mit Schalck-Golodkowski vor dem Parlament eine Erklärung abgibt und in der Öffentlichkeit anschließend spekuliert wird, ob er gelogen hat oder nicht — dann ist der eigentliche Skandal, daß er sich vor seiner Erklärung nicht einmal beim Bundesnachrichtendienst sachkundig gemacht hat. Er beweist damit, daß er die Aufsicht über den BND gar nicht führen will und daß sich der Dienst verselbstständigt hat. Interview: Wolfgang Gast