Wundermittel

Hungersnöte ließen sich vermeiden, Müllberge würden schrumpfen, Arbeitsprozesse wären weniger gefährlich, nebenbei könnte auch noch Energie eingespart werden. Kurz: ein umweltschonendes Wirtschaftswachstum, das den zunehmenden Bedürfnissen einer explodierenden Weltbevölkerung gerecht wird, ließe sich garantieren, wenn..., nun ja, wenn nicht die EG die europäischen Gentech-Firmen mit allzu strengen Vorschriften strangulieren würde. Die EG-Behörde sollte „nicht nur die Gefahren der Gentechnologie im Auge haben, sondern vor allem ihre Vorteile“. Derer böte die Gentechnologie zuhauf — vor allem im Umweltbereich. Die Heilsoffenbarung kommt aus berufener Quelle: Dieter Brauer ist schließlich Diplomchemiker im Dienste der bundesdeutschen Firma Hoechst. Zusammen mit den Managern von sechs weiteren Chemiegiganten wie Ferruzzi, Monsanto, Rhone-Poulenc, Sandoz und Unilever hatten die Hoechst-Lenker vor zwei Jahren die „Senior Advisory Group Biotechnology“ gegründet, um, wie es SAGB-Sprecher Stefan Ryser formuliert, „auf europäischer Ebene Politik machen zu können“. Nach ihrer Pfeife tanzen in Brüssel inzwischen nicht nur Europaparlamentarier und Ministerräte. Auch die EG-Kommissare erliegen gern den süßen Versprechungen der Industrielobby — mit einer Ausnahme: Unterstützt von seiner kleinen Abteilung macht Umweltkommissar Ripa di Meana den Gentech-Fans inner- und außerhalb der EG-Behörde zu schaffen. Im letzten Jahr gelang es seiner Abteilung, in den EG- Instanzen zwei Kontrollgesetze für genmanipulierte Organismen durchzusetzen. Die darin vorgeschriebenen Sicherheitsauflagen verursachten beträchtliche Mehrkosten und verzögerten die Genehmigungsprozesse erheblich, klagen die Industrievertreter. Deswegen sollen die umstrittenen Passagen zur Vermarktung in den beiden Richtlinien in Zukunft einfach umgangen werden können. Dazu hatte die EG-Behörde auf Drängen der SAGB-Lobby bereits im Frühjahr das Thema Gentechnologie zur Chefsache erklärt und das „Koordinationskomitee Biotechnologie“ gegründet. Vorsitzender ist niemand geringerer als Generalsekretär David Williamson, mit dem sich, so Brauer, im Unterschied zu Ripa di Meana reden ließe. Weil der widerspenstige Umweltkommissar sich immer noch beharrlich weigert, den Argumenten der Genlobbyisten Gehör zu schenken — nicht einmal empfangen will er sie — soll ihm nun das Wasser auf seinem ureigensten Themengebiet abgegraben werden. Dazu hat die SAGB-Lobby eine neue Kampagne gestartet. Titel: „Gemeinschaftspolitik für Biotechnologie — Vorteile und Prioritäten für die Umwelt“. Ohne eventuelle Gefahren im Umgang mit genmanipulierten Organismen auch nur zu erwähnen, preisen sie darin die Vorteile ihrer Zunft in den höchsten Tönen. Das Paradies auf Erden, so scheint es, bräche morgen an, ließen die EG-Umweltschützer nur endlich die Gentechniker ran. Michael Bullard