Gefährliche Ignoranz

■ Die abgesagte Bush-Reise nach Asien trifft auf japanische Empfindlichkeiten

Gefährliche Ignoranz Die abgesagte Bush-Reise nach Asien trifft auf japanische Empfindlichkeiten

George Bush betreibt Weltpolitik — jedoch ohne Asien. Nur wenige Tage nach dem Ende der von Washington initiierten Madrider Nahostkonferenz und kurz vor seiner Reise zum Nato-Gipfel nach Rom sagte der amerikanische Präsident eine schon seit Beginn seiner Amtszeit geplante Reise nach Japan, Südkorea und Südostasien kurzfristig ab. Innenpolitische Gründe werden offiziell angeführt. Nur noch ein Jahr bis zur nächsten Präsidentenwahl, rechnen die Berater Bushs. Doch der Terminplan des US-Präsidenten ist kein beliebig gestaltbarer Wahlkampfkalender, das bisher von Bush vernachlässigte innenpolitische Terrain sollte nicht außenpolitische Verpflichtungen bremsen.

Tief sitzt nun die Enttäuschung bei den Verbündeten in Asien. Nach so viel Engagement im Nahen Osten, für die Sowjetunion und in Europa versteht vor allem Tokio die Absage Bushs als Absage an die Freundschaft. Japan erwartete diesmal viel von George Bush. Der gerade erst ins Amt gewählte Premierminister Kiichi Miyazawa hatte schon eine neue US-japanische Grundsatzerklärung in Aussicht gestellt, mit der die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt ihre Beziehungen für die nächsten 50 Jahre auf die Prinzipien der Gleichberechtigung und Zusammenarbeit stellen sollten. Gelegenheit bot schon der Termin. Genau 50 Jahre wäre es hergewesen, seit japanische Bomber ihren berüchtigten Angriff auf den US-Militärhafen Pearl Harbor starteten und damit den US-japanischen Pazifikkrieg auslösten. Nun aber wird der 50. Jahrestag am 8. Dezember verstreichen, ohne daß sich die Führer aus Washington und Tokio die Hände reichen. Was Kohl mit Mitterrand in Verdun und mit Reagan in Bitburg unternehmen konnte — nämlich den wie immer auch beurteilten Versuch der späten Versöhnung —, Japan bleibt diese Möglichkeit verwehrt.

Das aber ist kein gutes Omen für das „wichtigste bilaterale Verhältnis in der Weltpolitik“, wie der ehemalige US-Botschafter in Japan, Mike Mansfield, die Achse Washington-Tokio schon früher beschrieb. Statt Freundschaft könnte nun anhaltende Verstimmung bis hin zu Feindseligkeit zwischen Japan und den USA drohen. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem kometenhaften Aufstieg der japanischen Wirtschaftsmacht harrt das Verhältnis einer Neudefinition, ähnlich dem der „partners in leadership“ zwischen den USA und Deutschland. Bush ignoriert gegenüber Japan diese „Macht des Faktischen“. Pearl Harbor ohne klare Versöhnungsgeste überläßt ein Vakuum, in dem neue Mythen entstehen könnten. In einem solchen Vakuum wissen weder die USA noch Japan, wer von ihnen heute der Stärkere ist. Das aber war schon vor 50 Jahren so und ist immer noch genauso gefährlich. Georg Blume, Tokio