Türkischer Verfassungseid in den Farben Kurdistans

■ In der ersten Sitzung des neugewählten türkischen Parlaments sorgte eine kurdische Abgeordnete für Tumult

Als ich Leyla Zana zum letzen Mal sah, hatte sie blaue Flecken an ihrem Körper. Es war nach der Beerdigung des ermordeten kurdischen Oppositionellen Vedat Aydin, Sondereinheiten der türkischen Armee hatten mit Dachlatten versucht, sie zu Tode zu prügeln. Heute ist die Reporterin der kleinen kurdischen Oppositionszeitung 'Yeni Ülke‘ Abgeordnete des türkischen Parlaments.

Die Abgeordneten leisten an diesem Tag öffentlich den Verfassungseid, das türkische Fernsehen sendet live: Auf das Papier schielend trägt Zana, die die türkische Sprache nur mangelhaft beherrscht, den vorgeschriebenen Text vor: den Schwur auf die Verfassung, die die Putschisten des Jahres 1980 oktroyierten, den Schwur auf die „unteilbare Einheit von Nation und Vaterland“, auf „die Prinzipien Atatürks“. „Ich schwöre vor der hohen türkischen Nation auf meine Ehre“, endet die Eidesformel. Doch längst hat der Parlamentspräsident ihr Mikro abgestellt. Viele der gewählten Herren der „Großen Nationalversammlung“ haben sich von ihren Plätzen erhoben und verfluchen Leyla Zana. Andere schlagen, um gegen ihren Auftritt zu protestieren, auf die Bänke.

Der Grund: Zana trägt in ihrem Haar eine Schleife in den Farben rot, gelb, grün: die Farben der kurdischen Nationalbewegung. Nur unter dem Druck ihrer Fraktionskollegen der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ war Zana dazu zu bewegen gewesen, den Verfassungseid auf Türkisch abzuleisten. Doch die Herren in grau und dunkelblau empfinden schon ihre Schleife als Zumutung. Plötzlich spricht sie in ihrer Muttersprache ins Mikrofon: „Ich habe diesen Eid für die Brüderlichkeit des türkischen und kurdischen Volkes geleistet.“ Der Eklat ist perfekt. Welches Verbrechen, in der „Großen Nationalversammlung“ kurdisch zu sprechen. Die Tumulte sind nicht aufzuhalten, die Sitzung wird unterbrochen. Zana, die „schönste und jüngste“ im türkischen Parlament, wie Boulevardzeitungen berichten, paßt eben nicht in dieses hohe Haus.

Wie sollte sie auch. Eine Frau, die mit 14 geheiratet hat, die mit 15 ihre erste Geburt hatte. Die Türkisch zu lernen begann, als sie Mitte zwanzig war — in den Jahren nach dem Militärputsch, vor den Toren des Gefängnisses Diyarbakir, wo in diesen Jahren Dutzende Menschen zu Tode gefoltert wurden. Ihr Ehemann Mehdi Zana, vor dem Putsch Bürgermeister der Stadt, verbrachte elf Jahre im Gefängnis.

Parlamentspräsident Ali Riza Septioglu ist selbst ein assimilierter Kurde. Auch ihm mangelt es an der Fähigkeit, ganze und vor allem logische, türkische Sätze auszusprechen: „Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Man macht den Rechtsstaat in der Form, wie die Gesetze es vorschreiben. Wenn es andere Formen sind, gilt der Schwur als nicht geleistet, und das Mitglied kann kein Mitglied sein.“ Noch einmal wird Zana zum Rednerpult gerufen. Noch einmal spricht sie den Verfassungseid. Doch erneut endet sie mit einem kurdischen Satz: „Ich bin eben die, die ich bin.“ Erneut Tumulte, fassungslose Fragen. „Was hat sie gesagt, was hat sie gesagt?“

Der Konsens der Betonköpfe ist schnell hergestellt. Der Anwärter auf den Posten des Ministerpräsidenten, Süleyman Demirel, spricht von „Provokation“. Der türkische Staatspräsident Turgut Özal läßt mitteilen, daß „dieses Verhalten nicht im Interesse ihrer Wähler, sondern im Interesse einer Terrororganisation“ sei. Der Vorsitzende der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, Erdal Inönü, erklärt, eine solche Frau könne nicht Mitglied der Sozialdemokratie sein: „Ich gehe davon aus, daß Leyla Zana damit wohl aus der Partei ausgetreten ist.“ Ömer Erzeren