Gespaltene Generation

■ Die Shell-Jugenstudie ergibt gravierende Unterschiede zwischen Ostjugendlichen und Westjugendlichen

Berlin (taz) — „Es werden sehr unterschiedliche politische Jugendgenerationen in Ost- und Westdeutschland heranwachsen.“ Professor Jürgen Zinnacker von der Gesamthochschule Siegen untertrieb gestern noch, als die Shell AG im Berliner Hotel Interconti erste Ergebnisse einer Jugendstudie der Presse präsentierte. Gravierende Unterschiede im Denken zwischen den Jugendlichen West und Ost bestehen nach wie vor: Dieses Fazit entspricht wohl eher dem Tenor der Shell-Studie.

Im Juni und im Juli befragten 32 Wissenschaftler insgesamt 4.005 Jugendliche zwischen 13 und 29 Jahren; 2.670 aus dem Westen Deutschlands und 1.335 aus dem Osten. Das endgültige Ergebnis dieser „ersten umfassenden vergleichenden“ Untersuchung über Jugendliche aus beiden Teilen Deutschlands wird im Herbst 1992 veröffentlicht. Die deutsche Shell AG finanziert seit 1953 Jugendstudien; Experten schätzen sie als Fundament für eigene Forschungen.

Im Rückblick verklärt sich manches, besonders wohl im „Rückblick auf die alte DDR“ (als ob es eine neue gäbe): 60 Prozent der befragten Jugendlichen erinnern sich positiv an die DDR, 61 Prozent gar assozieren mit den „Jungen Pionieren“ Gutes. Bände sprechen auch die Antworten zu der Frage, ob die Jugendlichen den jeweils anderen Teil Deutschlands schon einmal besucht haben. 96 Prozent der Ost-Jugendlichen waren bereits „drüben“, dagegen haben nur 44 Prozent der West-Jugendlichen den Schritt in den Osten gewagt. Die Eindrücke sind ähnlich verschieden wie die Besuche überhaupt: Die 44 Prozent West-Twens, die den Osten Deutschlands besucht haben, halten ihn zu 78 Prozent für „negativ“, für „schmutzig, arm, trostlos und grau“. Die 96 Prozent Ost- Twens hingegen beurteilen den Westen Deutschlands zu 69 Prozent „positiv“; sie schätzen im Westen „saubere Umwelt, schöne Landschaften, reiches Warenangebot“.

Wenig überraschend sind daher auch die Antworten auf die Frage, ob er oder sie sich vorstellen könne, im anderen Teil Deutschlands zu leben. 70 Prozent der West-Jugendlichen wollen auf gar keinen Fall einmal im Osten leben, 75 Prozent der Ost-Jugendlichen aber spielen mit dem Gedanken, in den Westen zu ziehen.

Weitgehend gleich ist das Interesse für Politik: 54 Prozent der Wessis bekunden hierzu „Ja“ gegenüber 59 Prozent der Ossis. Diese Differenz, die auch die Studienverfasser überraschte, ist indes nach Ansicht von Professor Zinnacker nicht das Ergebnis politischer Bildung in der DDR. Daß fünf Prozent der Ost-Jugendlichen mehr sich für Politik interessieren, basiere auf einer „Wende-Erfahrung“: „Die Jugendlichen in Ostdeutschland haben erlebt, daß man auf die Straße gehen und demonstrieren kann.“ Es sei eine spannende Frage, ob sie der Politik gegenüber aufgeschlossen bleiben oder resignieren. Thorsten Schmitz